Nebst vielen anderen Veränderungen im neuen, beschleunigten Asylverfahren, welches seit 1. März 2019 in Kraft ist, wurde die Hilfswerksvertretung (HWV) durch ein neues Rechtsschutzmodell der unentgeltlichen Beratung und Rechtsvertretung ersetzt. Für Personen, die vor diesem Datum ein Asylgesuch einreichten, gilt jedoch nach wie vor das bisherige System. Die Hilfswerksvertretung gab es während 50 Jahren. Was kann man aus diesen langjährigen Erfahrungen und dem erarbeiteten Wissen für das neue Rechtsschutzmodell mitnehmen?
Der Artikel „Rechtsschutz oder Alibiübung?“ in der Fachzeitschrift Asyl (ASYL1/2019) von Stephanie Gundi und Marc Prica gibt einen wichtigen Einblick in die langjährigen Erfahrungen der HWV. Es ist bedauerlich, dass im Rahmen der Einführung des neuen Asylverfahrens bisher nicht viel über die 1968 eingeführte Hilfswerksvertretung und deren Erkenntnissen berichtet wurde.
Laut Gundi und Prica stellte die Hilfswerksvertretung eine wichtige Vorstufe für die aktuelle Verbesserung des Rechtsschutzes für Asylsuchende dar und war ein unabdingbarer Schritt in der institutionalisierten Zusammenarbeit zwischen Behörden und Hilfswerken.
Die Hilfswerksvertretenden setzten sich für die asylsuchenden Personen ein, indem sie die Asylanhörungen aktiv beobachteten und so darauf achteten, dass die Verfahrensvorschriften eingehalten wurden. In dieser Rolle konnten HWV ergänzende Fragen stellen, eine erneute Anhörung anregen, bei Problemen intervenieren und das Unterschriftenblatt nutzen, um Beobachtungen und Anregungen wie z.B. zusätzliche medizinische Abklärungen festzuhalten.
Die Erfahrungen verschiedener Hilfswerksvertretenden widerspiegeln die anspruchsvolle Tätigkeit als HWV, die viel Fachwissen und Feingefühl benötigt. So war es für HWV herausfordernd, zwischen den unterschiedlichen Rollen von Asylsuchenden, Dolmetschenden und Befragenden in den stets wechselnden Teams zu verhandeln. Zudem zeigen die Erfahrungen von HWV, dass das Zwischenmenschliche in Asylanhörungen eine zentrale Rolle spielt. Beispielsweise beeinflussen Mimik und Gestik sowie eine ungünstige Anhörungsatmosphäre das Aussageverhalten der asylsuchenden Personen.
Auch aus beobachteten Verfahrensfehlern kann der zukünftige Rechtsschutz profitieren. HWV intervenierten u.a. bei Übersetzungsfehlern, die zu Widersprüchen in den Asylgründen führten, bei fehlender oder fehlerhafter Protokollierung, unangemessenen Fragen oder ungenügender Abklärung der Asylgründe. Zudem kamen die HWV von aussen. Da sie nur an der Anhörung anwesend waren, konnten sie eine distanziertere Position zum Verfahren einnehmen – dies könnte für Rechtsvertretende, die in den Bundesasylzentren unter demselben Dach wie das SEM arbeiten, eine Herausforderung darstellen.
Mit der Einführung der Rechtsvertretung im neuen Asylverfahren verschiebt sich der Fokus von der Beobachterfunktion mit Interventionsmöglichkeiten hin zu einer juristischen Vertretung. Wie die Hilfswerksvertretung ihre Rolle aushandeln musste, wird auch die Rechtsvertretung Ausdauer und Verhandlungsgeschick brauchen und ihre Handlungsmöglichkeiten einfordern müssen. Fraglich ist jedoch, ob im beschleunigten Verfahren trotz der formalisierten und beschleunigten Abläufe genügend Zeit und Platz besteht, um zwischenmenschliche, kulturelle und persönliche Perspektiven zu berücksichtigen, die in der Anhörung von grosser Bedeutung sind und von Hilfswerksvertretungen beobachtet und festgehalten wurden.