AusländerInnen, die wegen Krankheit oder einem Arbeitsunfall, Sozialhilfe beziehen müssen, werden von den Behörden zusätzlich bestraft, indem sie ihnen mit einem Bewilligungsentzug drohen. Dass die betroffenen Personen unverschuldet in diese prekäre Situation geraten sind, wird von den Behörden oft nicht berücksichtigt. Die Verlängerung einer Bewilligung wird am Integrationsgrad, am Wohlverhalten und an der finanziellen Selbständigkeit der AntragsstellerInnen gemessen. Unfälle und Krankheiten sind nicht vorgesehen.
In ihrem Fachbericht vom 10. Dezember 2012 beschäftigt sich die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht SBAA mit dem Thema Bewilligungsentzug bei Sozialhilfeabhängigkeit. Gestützt auf sieben dokumentierte Fälle wird deutlich, dass die Migrationsämter Bewilligungen aufgrund von unverschuldeten Notlagen und Arbeitslosigkeit entziehen. «Nach Lehre und Rechtsprechung darf das Gesetz jedoch nicht so ausgelegt werden. Die derzeitige Praxis des Bewilligungsentzugs aufgrund von Sozialhilfeabhängigkeit muss daher dringend revidiert werden», fordert Stefanie Kurt, Geschäftsleiterin der SBAA.
Fakten und BeispieleDie Unterhaltsregelung oder die Schwierigkeit eine Teilzeitstelle zu finden, ermöglicht es alleinerziehenden Müttern oft nicht einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diesem Umstand ist im Einzelfall besonders Rechnung zu tragen. Aber auch hier entscheiden die Behörden oft gegen die betroffene Person. Die Bemühungen von AusländerInnen, sich beruflich zu integrieren, werden von den Behörden nur ungenügend berücksichtigt.
Stossend ist auch, dass AusländerInnen, die bereits sehr lange in der Schweiz wohnen und arbeiten, die Bewilligung allein aufgrund von Sozialhilfebezug entzogen wird. Oft haben nämlich die betroffenen Personen keine Bindung mehr zum Herkunftsstaat, der Entzug der Bewilligung ist somit unverhältnismässig.
Stärkung des KindeswohlsDie SBAA macht erneut darauf aufmerksam, dass das in der Kinderrechtskonvention garantierte Kindeswohl von den Behörden zu wenig gewichtet wird. So umfasst die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum «umgekehrten Familiennachzug» derzeit nur Kinder mit Schweizer Staatsangehörigkeit. Der «umgekehrte Familiennachzug» ermöglicht es dem sorgeberechtigten Elternteil aufgrund der Schweizer Staatsangehörigkeit des Kindes in der Schweiz zu verbleiben. Dennoch ist der SBAA ein Fall bekannt, wo der Mutter eines Schweizer Kindes der Entzug der Bewilligung angedroht wurde. Die Gewalttätigkeiten des Ehemannes führten dazu, dass die Vormundschaftsbehörde das Kind fremdplatzierte. Die entstandenen Kosten für die Fremdplatzierung des Kindes wurden ausschliesslich der Ehefrau angelastet, was zur Androhung des Bewilligungsentzugs der Frau führte.
Diese Rechtssprechung gilt übrigens nicht für Kinder mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung. Das ist störend, die Situation dieser Kinder muss mit Blick auf das Kindeswohl dringend verbessert werden.
Störend ist aber auch, dass die Behörden ihren Ermessensspielraum zum Teil sehr eng definieren und die Interessen der Schweizer Wirtschaft dabei sichtlich im Vordergrund stehen. Die prekäre Situation der betroffenen AusländerInnen bei plötzlicher Krankheit, bei Unfällen während der Berufsausübung, von Opfern von häuslicher Gewalt, und die dadurch bedingte Abhängigkeit von der Sozialhilfe, wird bei der Verlängerung von Bewilligungen oft negativ bewertet. Neben einschneidenden Ereignissen müssen die Betroffenen dann auch noch die behördliche Ablehnung verkraften. Die verlangten Integrationsbemühungen werden dadurch dann oft zunichte gemacht.
«Es ist behördliche Willkür, wenn bei der Verlängerung der Bewilligung allein das Kriterium der finanziellen Selbstständigkeit gilt», sagt Ruth-Gaby Vermot, Präsidentin der SBAA. Erika Schilling von der Fachstelle für Migration- und Integrationsrecht fragt den auch im Vorwort des Fachberichts: «Wie ist das gemeint mit der Verfassungspräambel, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen?»