Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) beteiligt sich seit mehreren Monaten aktiv an den Tätigkeiten der Kampagne «Bildung für alle – jetzt!». Gestern, am 22. September 2021, wurde die dazugehörige Petition «Bildung und Arbeit für geflüchtete Menschen ermöglichen!» mit 19’209 Unterschriften dem Bundesparlament in Bern übergeben.
Der Zugang zu Bildung von geflüchteten Menschen ist ungenügend und muss dringend stärker gefördert werden. «Gemäss UNO-Kinderrechtskonvention und Bundesverfassung muss das Grundrecht auf Bildung uneingeschränkt umgesetzt werden. Leider ist dies heute noch nicht immer der Fall, deshalb steht die Schweiz in der Pflicht und deshalb braucht es die Petition dringend», betonte Nationalrätin Sandra Locher Benguerel, die für die Koordination der Kampagne «Bildung für alle – jetzt!» im nationalen Parlament verantwortlich ist.
Katharina Prelicz-Huber, Nationalrätin und Präsidentin des VPOD/SSP, zitierte aus einer Studie, dass in der Schweiz 40 Prozent der spät zugewanderten Personen von 16 – 24 Jahren keinen Abschluss auf Sekundarstufe II haben und weder in Ausbildung noch erwerbstätig sind. Dazu gehört auch der 22-jährige Mohsen aus Afghanistan, der an der Medienkonferenz seine Geschichte erzählte und dabei herausstrich: «Zur Schule konnte ich nicht gehen. Als mein Vater ermordet wurde, war ich neun Jahre alt. Auf jeden Fall möchte ich eine Ausbildung machen. Was genau, weiss ich noch nicht. Sicher nicht in einem Büro, sondern unter freiem Himmel.»
Geflüchtete Menschen sollen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus – im Rahmen ihrer Interessen und Potentiale – Zugang zu Bildung haben und gleichwertige Ausbildungen wie andere Menschen in der Schweiz absolvieren können. Dies forderte der Projektleiter der SBAA Tobias Heiniger im Namen der Kampagne auch in einem Beitrag von Tele Bärn vom 22.09.2021 (ab Minute 08:12). Davon profitieren nicht nur geflüchtete Menschen, sondern auch die Gesellschaft und die Wirtschaft. Um den hohen Ausbildungsbedarf von geflüchteten Menschen zu decken, schlägt der Verein «Bildung für alle – jetzt!» in den sechs Forderungen der Petition Massnahmen für alle Bildungsstufen vor.
«Aus gewerkschaftlicher Erfahrung wissen wir, dass in der Gastro, auf dem Bau und in der Reinigung sicher ein Drittel hochqualifizierter Migrant:innen, die aufgrund fehlender Papiere bzw. deren Nicht-Anerkennung als qualifizierter Abschluss, im Tieflohnbereich als Ungelernte arbeiten», führte Katharina Prelicz-Huber weiter aus. Diese Dequalifizierung hat auch der 40-jährige Staatsanwalt Nusret aus der Türkei erlebt. Seine zwei Masterabschlüsse werden in der Schweiz nicht anerkannt, weshalb er einen beruflichen Statusverlust hinnehmen und sich umorientieren muss. Er strebe eine Ausbildung als Sozialarbeiter an, wie er an der Medienkonferenz mitteilte, «meine Gemeinde sieht aber kein Studium vor. Mein Ziel ist klar, meine Zukunft jedoch ungewiss!»
Viele Zugewanderte sind hochmotiviert, eine qualifizierte Ausbildung zu machen, stehen aber häufig vor unüberwindbaren Hürden: Neben dem Mangel an bedarfsgerechten Angeboten nach Ende der Schulpflicht, scheitern viele an administrativen Einschränkungen wie Aufenthaltsrecht, Altersobergrenze, Wohnkanton, Finanzierungsproblemen und diskriminierenden Zulassungskriterien. Letzteres zeigt der Fall der 23-jährigen Syrerin Kholoud, die von ihren Bestrebungen erzählte, in der Schweiz ihr Medizinstudium fortzusetzen: «Meine Berufsfindung ist ein steiniger Weg. Ich brauchte einige Zeit, um zu verkraften, dass ich mit F‑Status mein Medizinstudium nicht wiederaufnehmen durfte.»
Mit der Petitionsabgabe hat der Verein «Bildung für alle – jetzt!» einen ersten Meilenstein erreicht. Die nationale Kampagne wird noch bis Ende Juli 2022 weitergeführt werden. Nationalrätin Locher Benguerel hat eine Interpellation zur Schule für die Kinder aus den Bundesasylzentren eingereicht, Nationalrätin Prelicz-Huber eine Motion für flexiblere Regelegungen der Berufsvorbereitung. In Zusammenarbeit mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern werden weitere Vorstösse im nationalen und in kantonalen Parlamenten folgen. In verschiedenen Regionen werden zudem öffentliche Diskussionsveranstaltungen durchgeführt werden.
Weitere Informationen: www.bildung-jetzt.ch