Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hat in seiner jüngsten Rechtsprechung strengere Kriterien für die Rückführung von asylsuchenden Personen nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens festgelegt. Das Gericht hat in den vergangenen Monaten mehrere Beschwerden gutgeheissen und festgestellt, dass das italienische Asylsystem seit Inkrafttreten des sogenannten Salvini-Dekrets „neue Hürden für Asylsuchende enthält, die den unmittelbaren Zugang zum Verfahren und zu Unterstützungsleistungen erschweren“ (Medienmitteilung des BVGer vom 17.01.2020). Der Zugang zu den Zentren sowie die Bedingungen in den Zentren hätten sich generell verschlechtert, insbesondere für verletzliche und traumatisierte Personen.
Mit dem „Salvini-Dekret“ des ehemaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini wurden in Italien Ende 2018 die Sicherheits- und Einwanderungsgesetze massiv verschärft. Dies hat insbesondere schwerwiegende Auswirkungen auf die Unterbringungssituation von asylsuchenden Personen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) zeigt in ihrem neusten Bericht zu den Aufnahmebedingungen in Italien (2020) die drastischen Folgen dieser Gesetzesänderungen auf. Die Bedingungen für asylsuchende Personen in Italien seien miserabel. Laut der SFH bestehen insbesondere für verletzliche Personengruppen wie Opfer von Menschenhandel oder Familien mit kleinen Kindern keine adäquaten Unterbringungsmöglichkeiten mehr. Wer im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Italien zurückgeschickt wird, verliert laut SFH das Recht auf Unterkunft und damit den Zugang zu jeglichen staatlichen Leistungen, wenn er/sie zuvor schon in Italien untergebracht war (Medienmitteilung der SFH vom 21.01.2020). Die SFH rät deshalb von Überstellungen nach Italien ab und fordert, dass die Schweiz keine verletzlichen Personen nach Italien überstellt, sondern deren Asylgesuche in der Schweiz prüft (sog. Selbsteintrittsrecht). Die SBAA unterstützt diese Forderungen.
Im Gegensatz zur SFH hält das BVGer jedoch Überstellungen nach Italien im Rahmen des Dublin-Verfahrens grundsätzlich weiterhin für zulässig. Aufgrund der verschärften Situation in Italien, insbesondere im Hinblick auf die Unterbringung, dürfen asylsuchende Familien und schwer erkrankte Personen nur nach Italien zurückgeführt werden, wenn die italienischen Behörden individuelle Garantien zur Unterbringung und Betreuung abgeben können. Für asylsuchende Familien waren die Schweizer Behörden bereits davor verpflichtet, Garantien bei den italienischen Behörden einzuholen. Neu müssen die Garantien aber noch konkreter sein und müssen auch für schwer kranke Personen eingeholt werden. Diese Personengruppen werden zurzeit deshalb nicht nach Italien weggewiesen, sondern die Fälle bleiben bis auf weiteres hängig. Laut einer Stellungnahme des Staatssekretariats für Migration (SEM) muss das SEM nun zuerst klären, ob Italien so detaillierte Garantien sprechen kann. Wie ein Sprecher des SEM festhielt, seien die konkreten Auswirkungen der Urteile auf die Schweiz noch nicht klar (Radio SRF, Rendez-vous vom 17.01.2020).