Erst­ma­li­ge Umset­zung des Schutz­sta­tus S

Wie wird der Schutz­sta­tus S für die Ukrainer:innen umge­setzt und wel­che neue Fra­gen wirft er auf?

Am 11.03.2022 hat der Bun­des­rat beschlos­sen, den Schutz­sta­tus S für Flücht­lin­ge aus der Ukrai­ne ein­zu­füh­ren (sie­he Medi­en­mit­tei­lung des Staats­se­kre­ta­ri­ats für Migra­ti­on (SEM) vom 11.03.22). Beim Schutz­sta­tus S han­delt es sich um ein Instru­ment, um gros­sen Flucht­be­we­gun­gen zu begeg­nen, wel­ches im Kon­text des Jugo­sla­wi­en­krie­ges in den 1990er Jah­ren ent­wi­ckelt wur­de. In der Pra­xis wur­de der Sta­tus jedoch noch nie ange­wen­det. Vor der Ein­füh­rung wur­den die Kan­to­ne, gewis­se Hilfs­wer­ke und die Eid­ge­nös­si­sche Migra­ti­ons­kom­mis­si­on (EKM) kon­sul­tiert. Die Emp­feh­lun­gen, die im Rah­men die­ser Stel­lung­nah­men gemacht wur­den, wur­den nur teil­wei­se umgesetzt.

Inhalt des Schutz­sta­tus S

Mit dem Schutz­sta­tus S erhal­ten die betrof­fe­nen Per­so­nen rasch und unbü­ro­kra­tisch Schutz in der Schweiz, ohne ein ordent­li­ches Asyl­ver­fah­ren durch­lau­fen zu müs­sen. Der S‑Status ver­leiht den Schutz­su­chen­den aus der Ukrai­ne gemäss aktu­el­ler Aus­ge­stal­tung nebst dem Auf­ent­halts­recht in der Schweiz auch Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug, Unter­brin­gung, redu­zier­te Sozi­al­hil­fe, medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung und Rei­se­frei­heit. Eben­falls gewahrt wird das ver­fas­sungs­mäs­si­ge Recht von Kin­dern, zur Schu­le gehen zu dür­fen. Bei Per­so­nen, die gemäss der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on «offen­sicht­lich» indi­vi­du­ell ver­folgt sind, kommt das ordent­li­che Asyl­ver­fah­ren zur Anwen­dung. Die wei­te­ren Per­so­nen haben – gemäss dem der­zei­ti­gen Wis­sens­stand – kei­ne Mög­lich­keit, ein Asyl­ge­such ein­zu­rei­chen. Für die SBAA ist die­se Lösung unbe­frie­di­gend. Einer­seits da unklar ist, was «offen­sicht­lich» bedeu­tet. Ande­rer­seits, weil das Recht, ein Asyl­ge­such zu stel­len damit poten­ti­ell ein­ge­schränkt wird (sie­he Stel­lung­nah­me der Schwei­ze­ri­schen Flücht­lings­hil­fe (SFH) vom 09.03.22).

Die ukrai­ni­schen Flücht­lin­ge dür­fen zudem ohne War­te­frist einer selb­stän­di­gen oder unselb­stän­di­gen Erwerbs­tä­tig­keit nach­ge­hen. Der Bun­des­rat hat damit sei­ne Kom­pe­tenz wahr­ge­nom­men und güns­ti­ge­re Bedin­gun­gen für die Erwerbs­tä­tig­keit der Schutz­su­chen­den auf­ge­stellt (Art. 75 AsylG). Die SBAA begrüsst die­se Erleich­te­rung, frag­lich ist jedoch die prak­ti­sche Wir­kung auf­grund oft­mals feh­len­der Kennt­nis­se von Lan­des­spra­chen. Bund und Kan­to­ne prü­fen der­zeit die Bedürf­nis­se im Bereich der Sprach­ver­mitt­lung. Die SBAA wür­de eine bald­mög­li­che Bereit­stel­lung von Sprach­kur­sen begrüs­sen, um zumin­dest eine sprach­li­che Inte­gra­ti­on zu gewährleisten.

Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge auf der Flucht

Der per­sön­li­che Gel­tungs­be­reich des Schutz­sta­tus S ist nicht unbe­grenzt. Haben sich Dritt­staats­an­ge­hö­ri­ge vor der Flucht recht­mäs­sig in der Ukrai­ne auf­ge­hal­ten und kön­nen nun sicher und dau­er­haft in ihre Hei­mat zurück­keh­ren, haben sie kei­nen Anspruch auf den Schutz­sta­tus S. Wie die EKM for­dert auch die SBAA, dass die­sen Per­so­nen, bis ihre Rück­kehr in die Ukrai­ne oder ihr Her­kunfts­land mög­lich ist, ein lega­ler Auf­ent­halt in der Schweiz gewähr­leis­tet wird. Aus­ser­dem for­dert die SBAA, dass die Dritt­staats­an­ge­hö­ri­gen bei ihrer Rück­kehr orga­ni­sa­to­risch und finan­zi­ell unter­stützt wer­den. Die Ungleich­be­hand­lung bei der Aus­rei­se aus der Ukrai­ne auf­grund Natio­na­li­tät oder Eth­nie, wie sie gemäss Human Rights Watch an der ukrai­ni­schen Gren­zen prak­ti­ziert wird, darf in der Schweiz nicht wei­ter­ge­führt werden.

Flücht­lings­po­li­tik ohne Doppelstandards

Denn die Ungleich­be­hand­lung ist nicht nur an der ukrai­ni­schen Gren­ze fest­zu­stel­len, son­dern auch in der Schwei­zer Migra­ti­ons­po­li­tik. Die SBAA unter­stützt das rasche Han­deln der Behör­den, die gros­se Hilfs­be­reit­schaft der Bevöl­ke­rung und die unkom­pli­zier­te Auf­nah­me der ukrai­ni­schen Flücht­lin­ge. Und doch bleibt ein zwie­späl­ti­ges Gefühl, denn eigent­lich müss­te dies der «nor­ma­le» Stan­dard für die Auf­nah­me von geflüch­te­ten Men­schen aus allen Welt­re­gio­nen sein. Die Fra­ge drängt sich auf, war­um nicht ähn­lich schnell gehan­delt und Ver­ant­wor­tung über­nom­men wird. Auf­grund von Krie­gen und kriegs­ähn­li­chen Zustän­den muss­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren vie­le Men­schen aus Län­dern wie Afgha­ni­stan und Syri­en flüch­ten. Wenn ihnen die Flucht und die gefähr­li­che Rei­se bis in die Schweiz gelang, war­te­ten sie oft­mals sehr lan­ge auf einen Ent­scheid ihres Asyl­ge­suchs, durf­ten in die­ser Zeit meist nicht arbei­ten und muss­ten in kol­lek­ti­ven Asyl­zen­tren woh­nen. Die SBAA kri­ti­siert die­se Dop­pel­stan­dards unter den Geflüch­te­ten (sie­he auch NZZ-Bei­trag vom 12.03.22). Sie wird sich stets für die Rech­te aller geflüch­te­ten Men­schen ein­set­zen und hofft, dass die aktu­el­len Dis­kus­sio­nen eine Sen­si­bi­li­sie­rung für deren Lage und Rech­te zur Fol­ge haben werden.