Etap­pen­er­folg beim Fami­li­en­nach­zug für vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Personen

Die Staats­po­li­ti­sche Kom­mis­si­on des Stän­de­ra­tes (SPK‑S) emp­fiehlt zwei Motio­nen der SVP zur Abschaf­fung des Fami­li­en­nach­zugs für vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen zur Ableh­nung. Dies ist ein wich­ti­ger Zwi­schen­er­folg für das Recht auf Fami­li­en­le­ben, wel­cher nun noch vom Stän­de­rat bestä­tigt wer­den muss.

Die vor­läu­fi­ge Aufnahme

Gemäss Art. 83 Abs. 1 des Aus­län­der- und Inte­gra­ti­ons­ge­set­zes (AIG) erfolgt die vor­läu­fi­ge Auf­nah­me, wenn der Voll­zug der Weg­wei­sung von schutz­su­chen­den Per­so­nen nicht mög­lich, nicht zuläs­sig oder nicht zumut­bar ist. Ins­be­son­de­re bei Per­so­nen, die aus Kriegs­ge­bie­ten in die Schweiz geflo­hen sind und nicht indi­vi­du­ell ver­folgt wer­den, ist die vor­läu­fi­ge Auf­nah­me die ein­zi­ge Mög­lich­keit, ihrem Schutz­be­darf gerecht zu wer­den. Tat­säch­lich blei­ben die meis­ten vor­läu­fig auf­ge­nom­me­nen Per­so­nen dau­er­haft in der Schweiz und kön­nen nicht in ihr Hei­mat­land zurück­keh­ren: Die Rück­kehr­quo­te liegt im ein­stel­li­gen Pro­zent­be­reich. Inso­fern ist der Begriff «vor­läu­fi­ge Auf­nah­me» irreführend.

Stren­ge Vor­aus­set­zun­gen beim Familiennachzug

Der Schutz­be­darf von vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­nen ist also ver­gleich­bar mit dem von aner­kann­ten Flücht­lin­gen mit Asyl. Den­noch gel­ten für sie nicht die glei­chen Bedin­gun­gen beim Fami­li­en­nach­zug: Sie müs­sen erst zwei Jah­re war­ten, bevor sie über­haupt ein Gesuch um Fami­li­en­nach­zug stel­len kön­nen. Die War­te­frist wur­de erst kürz­lich von 3 auf 2 Jah­re ver­kürzt. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te (EGMR) war der Ansicht, dass eine War­te­frist von 3 Jah­ren nicht mit dem Recht auf Fami­li­en­le­ben ver­ein­bar ist.

Neben der War­te­frist müs­sen vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­ne zudem unab­hän­gig von der Sozi­al­hil­fe sein, damit ihnen der Fami­li­en­nach­zug gewährt wird. Somit sind vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­ne beim Fami­li­en­nach­zug bereits heu­te – unge­recht­fer­tigt – extrem benach­tei­ligt. Es trifft nicht zu, dass der Sta­tus der vor­läu­fi­gen Auf­nah­me heu­te zu attrak­tiv ist.

Kras­se Ver­let­zung von Grund- und Menschenrechten

Die Motio­nen der SVP wür­den zu einer wei­te­ren Ver­schlech­te­rung der Situa­ti­on der vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­nen füh­ren. Mehr noch: Sie zie­len dar­auf ab, den Fami­li­en­nach­zug für vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen gänz­lich abzu­schaf­fen. Sie ste­hen damit in kras­sem Wider­spruch zu den in der Schweiz gel­ten­den Grund- und Men­schen­rech­ten (Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK) und sind ent­spre­chend scharf zu kri­ti­sie­ren. Vie­le Betrof­fe­ne blie­ben, obwohl sie nach­weis­lich nicht in ihr Hei­mat­land zurück­keh­ren kön­nen, wohl in vie­len Fäl­len für immer von ihren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen getrennt.

Das for­dert die SBAA

Die SBAA hat bereits im dies­jäh­ri­gen Fach­be­richt auf die Ungleich­be­hand­lung von vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­nen (im Ver­gleich zum Schutz­sta­tus S) hin­ge­wie­sen. Sie for­der­te, die vor­läu­fi­ge Auf­nah­me durch einen neu­en Sta­tus zu erset­zen, der die Ungleich­be­hand­lung besei­tigt und gleich­zei­tig irre­füh­ren­de Begrif­fe wie «vor­läu­fig» ver­mei­det. Die SBAA ist erfreut, dass die SPK‑S die grund- und men­schen­recht­li­chen Beden­ken ernst nimmt und die Motio­nen zur Ableh­nung emp­fiehlt. Sie for­dert den Stän­de­rat auf, der Ableh­nung zuzu­stim­men. Andern­falls wür­de die Schweiz dazu bei­tra­gen, dass Fami­li­en aus­ein­an­der­ge­ris­sen, Rech­te ver­letzt und huma­ni­tä­re Grund­sät­ze miss­ach­tet werden.

8. Novem­ber 2024 (ls)