Inter­view mit Anwäl­tin nach Macht­über­nah­me der Taliban

Die Anwäl­tin Benaf­sha Efaf wur­de aus Afgha­ni­stan eva­ku­iert und schil­der­te der SBAA ihre Erfahrungen. 

Benaf­sha Efaf ist 36 Jah­re alt, Anwäl­tin und arbei­te­te für die Frau­en­rechts­or­ga­ni­sa­ti­on «Women for Afghan Women» in Afgha­ni­stan. Nach der Macht­über­nah­me der Tali­ban wur­de sie eva­ku­iert und kam im Okto­ber 2021 in der Schweiz an.

Wie geht es Ihnen hier?
Ich füh­le mich sicher, denn die Situa­ti­on in Afgha­ni­stan war sehr schwie­rig. Nach einem Monat wur­den mein Ehe­mann, mei­ne Toch­ter und ich als Flücht­lin­ge aner­kannt und wir erhiel­ten die Auf­ent­halts­be­wil­li­gung B. Wir ver­mis­sen jedoch das Gefühl, zu Hau­se zu sein, da wir von einem zum nächs­ten Asyl­zen­trum trans­fe­riert wur­den und noch kei­ne eige­ne Woh­nung haben.

Am 15. August über­nah­men die Tali­ban die Macht in Afgha­ni­stan. Wie haben Sie dies erlebt?
Ich war an der Arbeit, ich ver­liess das Büro und nahm nur mei­nen Com­pu­ter und ein Doku­ment mit. Von da an wech­sel­te ich stän­dig den Ort. Ich beschloss im August, das Land nicht zu ver­las­sen. Ich hoff­te immer noch, mit den Tali­ban spre­chen zu kön­nen, um unse­re Akti­vi­tä­ten fort­zu­set­zen. Wegen mei­nes Kampfs für die Rech­te der Frau­en muss­te ich jedoch das Land ver­las­sen. Die Tali­ban began­nen, unse­re Mit­ar­bei­ten­den schlecht zu behan­deln, und frag­ten mich, wo sich die von uns betreu­ten Frau­en befinden.

Wie haben Sie Afgha­ni­stan verlassen?
Wir brauch­ten zwei Anläu­fe. Ende Sep­tem­ber erhielt ich einen Anruf von der FIFA. Sie infor­mier­ten mich über die Mög­lich­keit einer Eva­ku­ie­rung durch die Orga­ni­sa­ti­on Israaid, den Welt­rad­sport­ver­band und die FIFA. Ich hat­te nur zehn Minu­ten Zeit, um mich zu ent­schei­den. Mit mei­nem Mann und mei­ner Toch­ter fuh­ren wir mit über hun­dert Men­schen in drei Bus­sen zur tadschi­ki­schen Gren­ze. Da die Tali­ban uns nicht über die Gren­ze lies­sen, muss­ten wir zurück­keh­ren und uns erneut ver­ste­cken. Sie ent­deck­ten uns, Frau­en und Män­ner wur­den getrennt. Mei­ne Toch­ter und ich hat­ten gros­se Angst. Nach drei Stun­den erhielt ich einen Anruf von einem Freund mei­nes Man­nes. Er hat­te einen guten Draht zu den Tali­ban. Wir wur­den mit einem Auto nach Masar-e-Scha­rif gebracht. Dort blie­ben wir ein paar Tage.

Was geschah danach?
Nach ein paar Tagen erhielt ich einen Anruf und wir fuh­ren zum Flug­ha­fen. End­lich konn­te ich mit mei­nem Mann, mei­ner Toch­ter und dem Rest der Eva­ku­ie­rungs­grup­pe das Land ver­las­sen. Es war eine sehr schwie­ri­ge Eva­ku­ie­rung, und ich habe mich von nie­man­dem verabschiedet.

Sie arbei­te­ten ab 2010 für «Women for Afghan Women» (WAW). Was sind deren Hauptaktivitäten?
Es ist eine zivil­ge­sell­schaft­li­che Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tin und die letz­te Hoff­nung für Frau­en und Mäd­chen in Afgha­ni­stan. Sie betreibt Frau­en­häu­ser für Opfer von Gewalt, Fami­li­en­be­ra­tungs­stel­len, Unter­künf­te für Frau­en in Schei­dungs­si­tua­tio­nen und Durch­gangs­häu­ser für Frau­en, die aus dem Gefäng­nis ent­las­sen wur­den. Ins­ge­samt hat­ten wir 33 Frau­en­häu­ser, für die ich zustän­dig war. Jeden Monat nah­men wir min­des­tens 600 Über­le­ben­de von Gewalt auf. Wir hat­ten auch Pro­gram­me für Geflüch­te­te und für Kin­der, deren Eltern im Gefäng­nis sind.

Was geschah mit Ihrer Orga­ni­sa­ti­on nach der Machtübernahme?
Die Tali­ban dran­gen in unse­re Büros ein und such­ten nach den von uns betreu­ten Frau­en. Die sen­si­blen Pro­gram­me muss­ten wir schlies­sen, aber die ande­ren Akti­vi­tä­ten wer­den fort­ge­führt. Von den 1’200 Ange­stell­ten sind nun 800 arbeits­los. Nur fünf bis sechs Mit­ar­bei­te­rin­nen konn­ten das Land ver­las­sen. Afgha­ni­stan war schon immer ein gefähr­li­ches Land für Frau­en, aber jetzt ist die Situa­ti­on noch schwie­ri­ger gewor­den. Eini­ge Frau­en befin­den sich unter der Kon­trol­le der Tali­ban und im Gefängnis.

Was geschah mit den Über­le­ben­den nach der Machtübernahme?
Ab Juni began­nen wir, unse­re Akti­vi­tä­ten umzu­sie­deln, und wir arbei­te­ten an einer Exit-Stra­te­gie für die Frau­en in den Unter­künf­ten. Eini­ge konn­ten die Unter­künf­te ver­las­sen und sich in Wohn­ge­mein­schaf­ten orga­ni­sie­ren. In ande­ren Fäl­len arbei­te­ten wir dar­an, die Fäl­le durch Media­ti­on zu lösen, und die Frau­en konn­ten zu ihren Fami­li­en zurück­keh­ren. Ande­re Über­le­ben­de, die noch immer gefähr­det sind und nicht durch ihre Fami­lie unter­stützt wer­den, wur­den in eine ande­re Regi­on umgesiedelt.

Was erwar­ten Sie von der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft und der Schwei­zer Regierung?
Die Unter­stüt­zung durch die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft ist wich­tig. Die huma­ni­tä­re Hil­fe, der Zugang zur Jus­tiz und der Zugang zur Bil­dung sind wie­der­her­zu­stel­len. Sie soll­ten uns hel­fen, unser Land sicher zu machen. Ich wün­sche mir, dass die Schweiz WAW unter­stützt, damit ihre huma­ni­tä­ren Pro­jek­te umge­setzt wer­den kön­nen. Die Schweiz soll­te den Per­so­nen mit einem hohen Risi­ko­pro­fil huma­ni­tä­re Visa gewäh­ren, z.B. Journalist:innen, Aktivist:innen, Richter:innen und deren Familien.

Soll­te die inter­na­tio­na­le Gemein­schaft mit den Tali­ban verhandeln?
Sie soll­ten mit ihnen reden, sie aber nicht aner­ken­nen. Wenn sie die Tali­ban ein­la­den, soll­ten sie eini­ge Bedin­gun­gen für die Gesprä­che stel­len. Die Frau­en­rech­te in Afgha­ni­stan soll­ten eines der Haupt­the­men der Ver­hand­lun­gen bil­den. Anders­falls soll­ten sie sich nicht mit den Tali­ban tref­fen. Zudem ist es nötig, dass Frau­en an den Ver­hand­lun­gen teilnehmen.

Wie wird sich die Situa­ti­on in den nächs­ten Jah­ren gemäss Ihrer Ein­schät­zung entwickeln?
Ich habe Angst um unser Land und die Zukunft unse­res Vol­kes, ins­be­son­de­re um die Mäd­chen und Frau­en. Das Land ent­wi­ckelt sich im Zeit­lu­pen­tem­po in Rich­tung 1997. Frau­en müs­sen eine Bur­ka tra­gen. Wenn Bil­der von Frau­en in Geschäf­ten zu sehen sind, müs­sen sie schwarz abge­deckt wer­den, sonst muss das Geschäft geschlos­sen wer­den. Die Men­schen dür­fen kei­ne weis­sen Schu­he tra­gen, denn das ist die Far­be der Tali­ban-Flag­ge. Was kann ich von einer Regie­rung erwar­ten, deren Mit­glie­der auf der inter­na­tio­na­len schwar­zen Lis­te stehen?

Was pla­nen Sie für Ihre Zukunft?
Ich ler­ne Deutsch, möch­te mei­nen Platz in der Schweiz fin­den und mei­ne Arbeit fort­füh­ren. Mit der Unter­stüt­zung der UNO und der Schwei­zer Regie­rung möch­te ich die afgha­ni­schen Frau­en ver­tre­ten und aus einer siche­ren Posi­ti­on her­aus mit den Tali­ban debat­tie­ren. Das ist mein Traum, mei­ne Hoff­nung und mein Ver­spre­chen an die Frau­en in Afghanistan.

 Bild: ©Benaf­sha Efaf. Benaf­sha Efaf am Inter­na­tio­na­len Tag der Frau­en vom 8. März 2021 in der Fami­li­en­be­ra­tungs­stel­le von «WAW» in Kabul, Afghanistan.