Kin­des­schutz­mass­nah­men in Bundesasylzentren

Teil 3 der Serie: Wer ist in der Schweiz für die Ein­hal­tung der Kin­der­rech­te verantwortlich?

Im Juni 2021 dis­ku­tier­ten Fach­per­so­nen auf Ein­la­dung der Schwei­ze­ri­schen Beob­ach­tungs­stel­le für Asyl- und Aus­län­der­recht (SBAA) im Rah­men eines Podi­ums über die (Nicht-)Berücksichtigung des Kin­des­wohls in asyl- und aus­län­der­recht­li­chen Ver­fah­ren. Dabei wur­den auch ver­schie­de­ne Fra­gen der Zustän­dig­keit debat­tiert; u.a. die­je­ni­ge der Kin­des- und Erwach­se­nen­schutz­be­hör­den (KESB) an den unter­schied­li­chen Stand­or­ten der Bun­des­asyl­zen­tren (BAZ).

Im drit­ten Teil der losen Serie zum The­ma «Ver­ant­wor­tung für die Ein­hal­tung der Kin­der­rech­te» geht die SBAA der Fra­ge nach, wie Zustän­dig­keits­fra­gen die Wah­rung der Inter­es­sen min­der­jäh­ri­ger Geflüch­te­ter beein­flus­sen. An der Podi­ums­dis­kus­si­on der SBAA wur­de die Zusam­men­ar­beit mit den Kin­des­schutz­be­hör­den als «gros­se Her­aus­for­de­rung» bezeich­net. Das Staats­se­kre­ta­ri­at für Migra­ti­on (SEM) sei zwar dar­an, Lösun­gen zu fin­den, teil­wei­se füh­le sich jedoch kei­ne KESB ver­ant­wort­lich. So wür­den unter ande­rem kei­ne Bei­stand­schaf­ten für unbe­glei­te­te Min­der­jäh­ri­ge errichtet.

Zustän­dig­keit bei Kindeswohlgefährdungen

Wenn ein Kind Gewalt erlebt, der Wohn­ort nicht sei­nen Bedürf­nis­sen ent­spricht oder wenn ein:e Jugendliche:r Sui­zid­ge­dan­ken hat, ist das Wohl des Kin­des – asyl­su­chend oder nicht, unbe­glei­tet oder im Fami­li­en­ver­bund – gefähr­det. Bei asyl­su­chen­den Min­der­jäh­ri­gen tref­fen dabei zwei Wel­ten auf­ein­an­der, und es stellt sich die Fra­ge, wer für das Kin­des­wohl zustän­dig ist. Auf der einen Sei­te das SEM, wel­ches für das Asyl­ver­fah­ren zustän­dig ist; auf der ande­ren Sei­te die KESB des Kan­tons, der Regi­on oder der Gemein­de, in wel­cher das Gebäu­de des BAZ steht.

Vie­le Aspek­te des Kin­des­schut­zes sind im Zivil­ge­setz­buch (ZGB) und damit natio­nal gere­gelt, für die Umset­zung der Bestim­mun­gen ist der Bund jedoch nicht zustän­dig. Vor der Revi­si­on des Kin­des- und Erwach­se­nen­schutz­rechts im Jahr 2013 waren oft die Vor­mund­schafts­be­hör­den ein­zel­ner Gemein­den ver­ant­wort­lich. Danach fand eine Pro­fes­sio­na­li­sie­rung des Bereichs statt, und die kom­mu­na­len Behör­den wur­den mehr­heit­lich durch regio­na­le oder kan­to­na­le Ämter oder durch Gerich­te ersetzt.

Für Asyl­ver­fah­ren ist in der Schweiz das Staats­se­kre­ta­ri­at für Migra­ti­on (SEM) und damit der Bund ver­ant­wort­lich. Seit 2019 fin­den die­se in gros­sen Bun­des­asyl­zen­tren (BAZ) statt, wo die Asyl­su­chen­den auch unter­ge­bracht sind. Die soge­nann­ten «Stand­ort­kan­to­ne» die­ser BAZ sind zwar für gewis­se Auf­ga­ben wie die Durch­füh­rung des Grund­schul­un­ter­richts zustän­dig, grund­sätz­lich aber hat der Bund die Hoheit über die BAZ.

Unein­heit­lich und verantwortungslos

Aktu­ell gibt es kei­ne all­ge­mein­gül­ti­ge Ant­wort, wer bei Kinds­wohl­ge­fähr­dun­gen han­deln kann, darf oder muss. Gemäss Aus­künf­ten von ver­schie­de­nen im Bereich täti­gen Orga­ni­sa­tio­nen und Per­so­nen wird dies nicht ein­heit­lich gehand­habt. In ein­zel­nen BAZ gibt es eine kon­struk­ti­ve Zusam­men­ar­beit zwi­schen SEM, KESB und Ver­trau­ens­per­so­nen, die für die Kin­des­ver­tre­tung im Asyl­ver­fah­ren zustän­dig sind. Anders­wo wer­den kei­ne Kin­des­schutz­mass­nah­men ergrif­fen; oft spie­len dabei finan­zi­el­le Aspek­te eine Rol­le. Auch die Unab­hän­gig­keit der Ent­schei­dun­gen der KESB wird ins Feld geführt.

Auch die im August 2021 erschie­ne­ne Eva­lua­ti­on zu den neu­en Asyl­ver­fah­ren bestä­tigt die­ses Bild (S. 121 ff.). Die Eva­lua­ti­on unter­such­te zwar nur die Situa­ti­on in zwei von sechs Asyl­re­gio­nen und berich­tet auch von guter Zusam­men­ar­beit und posi­ti­ven Ent­wick­lun­gen. Ins­ge­samt wird jedoch fest­ge­hal­ten, dass die Ver­ant­wort­lich­kei­ten zuguns­ten der Ein­hal­tung des Kin­des­wohls näher unter­sucht und geklärt wer­den müs­sen. Die grund­sätz­li­che Zustän­dig­keit der KESB wird dabei als unbe­strit­ten vorausgesetzt.

Die SBAA for­dert eine ein­heit­li­che Her­an­ge­hens­wei­se zuguns­ten der umfas­sen­den Berück­sich­ti­gung des Kin­des­wohls. Dabei begrüsst sie die Posi­tio­nen der SFH zum The­ma. Die­se emp­feh­len unter ande­rem, dass poten­zi­el­le Kin­des­wohl­ge­fähr­dun­gen kon­se­quent den KESB gemel­det und dass die­se – wenn es zum Schutz des Kin­des ange­zeigt ist – Kin­des­schutz­mass­nah­men ergrei­fen. Denn die KESB sind als Fach­be­hör­den geeig­net, Gefähr­dun­gen zu erken­nen und pas­sen­de Mass­nah­men zu tref­fen. Dem SEM, wel­ches das Asyl­ver­fah­ren lei­tet, muss in die­sem Bereich eine umset­zen­de und finan­zie­ren­de Rol­le zukommen.

 

Serie: Wer ist in der Schweiz für die Ein­hal­tung der Kin­der­rech­te ver­ant­wort­lich?

Teil 1: Über­ge­ord­ne­tes Kin­des­in­ter­es­se – Auf­sicht und Ver­ant­wor­tung, 30.3.2021

Teil 2: Wenn Kin­der aus Bun­des­asyl­zen­tren ver­schwin­den, 5.7.2021