Kur­ze Fris­ten und unge­nü­gen­de Sachverhaltsabklärungen

Seit einem Jahr wird das neue Asyl­ver­fah­ren umge­setzt. Die SBAA zieht eine ers­te Bilanz. 

Das neue beschleu­nig­te Asyl­ver­fah­ren wird seit dem 1. März 2019 umge­setzt. Eine der grund­le­gen­den Neue­run­gen ist, dass alle asyl­su­chen­den Per­so­nen eine Rechts­ver­tre­tung erhal­ten. Die SBAA ver­folgt die Umset­zung des neu­en Ver­fah­rens mit kri­ti­schem Blick und ist mit zahl­rei­chen Rechts­be­ra­tungs­stel­len und Orga­ni­sa­tio­nen in Kon­takt. Sie ist zudem dar­an, juris­tisch pro­ble­ma­ti­sche Fäl­le des neu­en Ver­fah­rens auf­zu­ar­bei­ten und zu dokumentieren.

Die SBAA begrüsst grund­sätz­lich, dass Asyl­ge­su­che schnel­ler als im alten Ver­fah­ren behan­delt wer­den und asyl­su­chen­de Per­so­nen nun eine Rechts­ver­tre­tung haben. Aller­dings gibt es eini­ge grund­le­gen­de kri­ti­sche Aspek­te. Frag­lich ist auch, ob im neu­en Asyl­ver­fah­ren die Rechts­staat­lich­keit immer gewahrt wird.

Man­gel­haf­te Abklä­run­gen des Sach­ver­halts durch SEM

Das Staats­se­kre­ta­ri­at für Migra­ti­on (SEM) ist für die Prü­fung der Asyl­ge­su­che zustän­dig. Es ist ver­pflich­tet, den voll­stän­di­gen Sach­ver­halt von Amtes wegen fest­zu­stel­len (Art. 12 VwVG). Im Ver­gleich zum alten Ver­fah­ren weist jedoch das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVGer) nun drei­mal so viel Asy­l­ent­schei­de zurück ans SEM, mit dem Auf­trag einer Neu­be­ur­tei­lung. In vie­len die­ser Fäl­le wur­de der Sach­ver­halt unge­nü­gend fest­ge­stellt und in min­des­tens 40 Fäl­len der Gesund­heits­zu­stand der asyl­su­chen­den Per­son nicht voll­stän­dig abge­klärt (Arti­kel in der NZZ am Sonn­tag vom 4.1.2020). Dies weist dar­auf hin, dass die Qua­li­tät der Ent­schei­de unter der Beschleu­ni­gung lei­det. Wird auf­grund unvoll­stän­di­ger Abklä­run­gen nicht kor­rekt über die Asyl­ge­su­che ent­schie­den, hat dies fata­le Fol­gen für die Betrof­fe­nen. Aus­ser­dem besteht die Gefahr, dass ihre Ver­fah­rens­ga­ran­tien ver­letzt wer­den, z.B. ihr Anspruch auf recht­li­ches Gehör oder das Recht auf wirk­sa­me Beschwerde.

Im neu­en Asyl­ver­fah­ren gibt es bei der Prü­fung der Asyl­ge­su­che zwei Mög­lich­kei­ten: das beschleu­nig­te und das erwei­ter­te Ver­fah­ren. Ist die Fak­ten­la­ge klar, wird das Asyl­ge­such in Form des beschleu­nig­ten Ver­fah­rens behan­delt. Die durch­schnitt­li­che Dau­er lag im ers­ten Jahr unter 50 Tagen (Medi­en­mit­tei­lung des SEM vom 6.2.2020). Nur 18% aller Asyl­ge­su­che prüft das SEM im erwei­ter­ten Ver­fah­ren – obwohl ursprüng­lich rund 40% geplant waren. Wenn es sich um kom­ple­xe Fäl­le han­delt, eine wei­te­re Anhö­rung not­wen­dig ist, Per­so­nen trau­ma­ti­siert sind, Beweis­mit­tel abge­war­tet oder gesund­heit­li­che Pro­ble­me abge­klärt wer­den müs­sen, soll­ten die Fäl­le im erwei­ter­ten Ver­fah­ren behan­delt wer­den. Dies hat das BVGer in sei­ner Recht­spre­chung bestä­tigt. Die SBAA for­dert, dass das SEM – wie ursprüng­lich geplant – mehr Fäl­le im erwei­ter­ten Ver­fah­ren behan­delt. Dadurch bleibt mehr Zeit für die sorg­fäl­ti­ge und voll­stän­di­ge Erstel­lung des Sach­ver­halts, denn die kur­zen Behand­lungs­fris­ten im beschleu­nig­ten Asyl­ver­fah­ren ent­bin­den das SEM nicht von der voll­stän­di­gen Fest­stel­lung des Sachverhalts.

Rechts­ver­tre­tun­gen legen unrecht­mäs­sig Man­da­te nieder

Im beschleu­nig­ten Ver­fah­ren wird allen asyl­su­chen­den Per­so­nen eine Rechts­ver­tre­tung zuge­wie­sen. Die­se Funk­ti­on wird von ver­schie­de­nen Hilfs­wer­ken in den Bun­des­asyl­zen­tren aus­ge­führt. Bei einem nega­ti­ven Asy­l­ent­scheid muss die Rechts­ver­tre­tung beur­tei­len, wie die Aus­sich­ten einer Beschwer­de ans BVGer sind. Ist die Beschwer­de „aus­sichts­los“, muss sie ihr Man­dat nie­der­le­gen. In der Pra­xis stuft die Rechts­ver­tre­tung Beschwer­den immer wie­der als „aus­sichts­los“ ein, das BVGer stellt in sei­nem Urteil jedoch fest, dass die Beschwer­de „offen­sicht­lich begrün­det“ ist. In sol­chen Fäl­len hät­te die Rechts­ver­tre­tung ihr Man­dat nicht nie­der­le­gen dür­fen. Dies ist äus­serst pro­ble­ma­tisch, da dadurch grund­le­gen­de Ver­fah­rens­rech­te der asyl­su­chen­den Per­so­nen ver­letzt wer­den. Hin­zu kommt der zeit­li­che Druck auf­grund der kur­zen Beschwer­de­frist: Die­se beträgt im beschleu­nig­ten Ver­fah­ren nur 7 Arbeits­ta­ge. Wenn die Rechts­ver­tre­tung ihr Man­dat nie­der­legt, muss die betrof­fe­ne Per­son also inner­halb die­ser kur­zen Zeit Kon­takt zu einer exter­nen Rechts­be­ra­tungs­stel­le oder Anwäl­tin auf­neh­men. Die­se muss dann auch noch die nöti­gen Res­sour­cen haben, um den Fall sofort zu bear­bei­ten. Geo­gra­phisch abge­le­ge­ne Stand­or­te von Bun­des­asyl­zen­tren machen es zudem fast unmög­lich, recht­zei­tig eine exter­ne Bera­tungs­stel­le zu finden.

Die SBAA wird die Umset­zung des neu­en Asyl­ver­fah­rens wei­ter­hin kri­tisch beob­ach­ten, ver­fah­rens­recht­li­che Pro­ble­me anhand von Fäl­len doku­men­tie­ren und in anony­mi­sier­ter Form ver­öf­fent­li­chen. Die Rechts­staat­lich­keit des streng getak­te­ten Asyl­ver­fah­rens mit den sehr kur­zen Fris­ten kann nur gewahrt wer­den, wenn das SEM die Sach­ver­hal­te voll­stän­dig abklärt und der Rechts­schutz der asyl­su­chen­den Per­so­nen gewähr­leis­tet ist.