Mil­li­on Hadish for­dert Gerech­tig­keit und Chan­cen­gleich­heit für alle

Was es für Eritreer:innen bedeu­tet in der Schweiz vor­läu­fig auf­ge­nom­men zu sein. Ein Betrof­fe­ner berichtet

Mil­li­on Hadish flüch­te­te im August 2015 mit vier­zehn Jah­ren aus Eri­trea und erreich­te im Juni 2016 die Schweiz. Sein Asyl­ge­such lehn­te das SEM ab, statt­des­sen wur­de er vor­läu­fig aufgenommen.

Die vor­läu­fi­ge Auf­nah­me in der Schweiz

Gemäss der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on defi­niert sich der Begriff «Flücht­ling» als Per­son, wel­che sich «aus der begrün­de­ten Furcht vor Ver­fol­gung wegen ihrer Ras­se, Reli­gi­on, Natio­na­li­tät, Zuge­hö­rig­keit zu einer bestimm­ten sozia­len Grup­pe oder wegen ihrer poli­ti­schen Über­zeu­gung sich außer­halb des Lan­des befin­det, des­sen Staats­an­ge­hö­rig­keit sie besitzt, und den Schutz die­ses Lan­des nicht in Anspruch neh­men kann oder wegen die­ser Befürch­tun­gen nicht in Anspruch neh­men will» (Art. 1 lit. A Ziff. 2 GFK). Asyl­su­chen­de, die auf­grund der feh­len­den indi­vi­du­el­len Ver­fol­gung nicht unter die Defi­ni­ti­on von Flücht­lin­gen im Sin­ne der Gen­fer Flücht­lings­kon­ven­ti­on fal­len, aber auf­grund von Unmög­lich­keit, Unzu­mut­bar­keit oder Unzu­läs­sig­keit (bei­spiels­wei­se auf­grund einer Kriegs­si­tua­ti­on) nicht in ihre Hei­mat zurück­keh­ren kön­nen, erhal­ten die vor­läu­fi­ge Auf­nah­me, bzw. einen Aus­weis F (Art. 83 AIG; Art. 3 EMRK). Die­se stellt somit kei­nen Schutz­sta­tus, son­dern eine Ersatz­mass­nah­me dar.

Was es bedeu­tet in der Schweiz vor­läu­fig auf­ge­nom­men zu sein

Der heu­te 23-jäh­ri­ge Mil­li­on Hadish lebt seit bei­na­he acht Jah­ren mit einer vor­läu­fi­gen Auf­nah­me in der Schweiz. Das Leben mit einem Aus­weis F bedeu­tet für ihn:

[…] im All­tag sehr stark ein­ge­schränkt zu sein. Das heisst, ich habe Schwie­rig­kei­ten, eine pas­sen­de Arbeit zu fin­den und mein Wunsch, bei einer Bank zu arbei­ten, ist nicht umsetz­bar. Auch darf ich nicht selb­stän­dig arbei­ten, wes­we­gen ich auch online nicht selbst Geld ver­die­nen darf. Bei der Woh­nungs­su­che habe ich es auch schwer, da ich oft abge­wie­sen wer­de wegen dem Sta­tus mit einem F‑Ausweis. So wer­den mir auch nor­ma­ler­wei­se schlech­te Woh­nun­gen ange­bo­ten, obwohl bes­se­re zur Ver­fü­gung stän­den. Wenn es um Poli­tik geht, darf ich auch nicht mit­re­den. Ich darf nicht wäh­len und auch nicht gewählt wer­den. Bei poli­ti­schen Dis­kus­sio­nen bin ich aus­ge­schlos­sen. Bei­spiels­wei­se darf ich das Bun­des­haus nicht besu­chen, um dort bei einer poli­ti­schen Debat­te zuzu­hö­ren. Die­se Umstän­de geben mir das Gefühl, nicht in die Gesell­schaft inte­griert zu sein. Dar­um ver­ste­cke ich immer, wenn es geht, mei­nen F‑Ausweis und ver­wen­de mei­nen Füh­rer­schein, um mich aus­zu­wei­sen. So wer­de ich an vie­len Orten ein­fa­cher akzep­tiert und kom­me wei­ter, als mit dem F‑Ausweis. Ein Bei­spiel dafür wäre wie­der das Bun­des­haus, bei dem ein Füh­rer­schein als Aus­weis für den Ein­tritt akzep­tiert wird, aber ein F‑Ausweis gilt nicht als gül­tig. Auch bei Poli­zei­kon­trol­len zei­ge ich lie­ber den Füh­rer­schein als den F‑Ausweis, da ich so erns­ter genom­men wer­de. Ein wei­te­rer Nach­teil des F‑Ausweises ist es, dass ich die Schweiz nicht ver­las­sen darf. Das bedeu­tet, dass ich mei­ne Fami­lie nicht besu­chen kann und sie mich nicht besu­chen kön­nen. So habe ich seit neun Jah­ren kein ein­zi­ges Fami­li­en­mit­glied von mir gesehen.“

Der Weg zu einer Auf­ent­halts­be­wil­li­gung ist lang und steinig

Um eine Auf­ent­halts­be­wil­li­gung B zu erhal­ten, kön­nen vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­ne nach fünf Jah­ren ein Gesuch um einen Här­te­fall stel­len. Um die­ses ein­zu­rei­chen brau­chen Eritreer:innen einen eri­tre­ischen Pass. Einen sol­chen zu erlan­gen ist jedoch schwierig.

Die eri­tre­ische Dik­ta­tur beein­flusst auch das Leben der Eritreer:innen in der Schweiz. Wer sich beim eri­tre­ischen Kon­su­lat in Genf mel­det, um einen eri­tre­ischen Pass zu bekom­men, muss zum Bei­spiel eine Reue­er­klä­rung unter­schrie­ben. In die­ser Reue­er­klä­rung steht, dass man die Flucht aus Eri­trea bereut und dass man sich zu Ver­bre­chen bekennt, die man nie began­gen hat. Zudem muss Kon­takt zu den zurück­ge­blie­be­nen Fami­li­en­mit­glie­dern in Eri­trea her­ge­stellt wer­den. So wird der Geflüch­te­te in der Schweiz erpress­bar mit dem Schick­sal sei­ner zu Hau­se geblie­be­nen Fami­li­en­mit­glie­der und Freun­de und zum Schwei­gen gebracht. Er oder sie kann kei­ne kri­ti­sche Stim­me gegen die Dik­ta­tur mehr äus­sern, denn sonst wird der zurück­ge­blie­be­nen Fami­lie Leid zuge­fügt. Wenn ein Geflüch­te­ter die­ses Doku­ment unter­zeich­net, dann ist er auch dazu ver­pflich­tet, 2% sei­nes Ein­kom­mens an den eri­tre­ischen Staat zu geben, und zwar auch rück­wir­kend für die gesam­te Zeit sei­nes Auf­ent­halts in der Schweiz, auch vor die­ser Unter­schrift. Die Dik­ta­tur nutzt die­sen lan­gen Arm in die Schweiz auch, um Pro­pa­gan­da zu machen und die in der Schweiz leben­den Eritreer:innen zu beeinflussen.

[…] Die Pass­be­schaf­fungs­pflicht nutzt die eri­tre­ische Dik­ta­tur aus, da sie weiss, dass ein B‑Aufenthaltstitel einen gros­sen Unter­schied im Leben eines Flücht­lings in der Schweiz machen kann. Wenn ein eri­tre­ischer Flücht­ling die Doku­men­te nicht unter­zeich­nen will, hat die eri­tre­ische Dik­ta­tur somit die Macht über den Auf­ent­halts­ti­tel eines Flücht­lings in der Schweiz. Bis jetzt dul­det die Schweiz dies und unter­stützt so den Zugriff des Regimes auf die Dia­spo­ra. In der Schweiz kann man auch ohne Pass einen B‑Ausweis bean­tra­gen, aber dafür braucht man die Bestä­ti­gung der eri­tre­ischen Bot­schaft, also der Ver­tre­tung der Dik­ta­tur, dass sie kei­nen Pass aus­stel­len konn­ten. Die eri­tre­ische Bot­schaft wird dies aber nie machen, da sie so ihren Ein­fluss nicht aus­üben kann.“

Seit letz­tem Jahr setzt sich Mil­li­on Hadish poli­tisch aktiv für die eri­tre­ische Dia­spo­ra ein. Zusam­men mit ande­ren Aktivist:innen reich­te er im Novem­ber 2023 die Peti­ti­on «Pass­be­schaf­fungs­pflicht für eri­tre­ische Flücht­lin­ge abschaf­fen» ein und ist Mit­glied beim eri­tre­ischen Medi­en­bund Schweiz, wie auch bei der «eri­tre­ischen strah­len­den Zukunfts­be­we­gung». Dabei for­dert er Gerech­tig­keit und Chan­cen­gleich­heit für alle. Mil­li­on Hadish hat zudem einen Ver­ein gegrün­det, der direkt betrof­fe­ne Per­so­nen ver­eint, die sich gegen die Abschaf­fung der Pass­be­schaf­fungs­pflicht ein­set­zen und aktiv Ver­än­de­run­gen anstre­ben. Der Ver­ein zählt inzwi­schen über 500 Mit­glie­der und heißt «Ver­band F – Vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­ne in der Schweiz – Gefan­gen ohne Gitter»

 

Mil­li­on Hadish