Ein Jahr nach der Publikation des Fachberichts «Zugang zu Bildung unabhängig vom Aufenthaltsrecht» lud die SBAA Betroffene, Engagierte und Fachpersonen zu einer halbtägigen Fachtagung ein. Das Ziel war, gemeinsam Lösungsansätze für einen verbesserten Zugang zu Bildung für Geflüchtete und Menschen ohne Bleiberecht zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Um es in den einleitenden Worten von Christoph Reichenau, Vorstandsmitglied der SBAA zu sagen: «Wir wollen Ihr Fachwissen, Ihre Erfahrung an der Schnittstelle zwischen Bildung und Integration abholen und nutzen.»
Arbeitskräftemangel und Bildungsverständnis
Den fachlichen Diskussionen vorangestellt waren zwei Blitzlichter zur Einstimmung. Simon Wey, Chefökonom des Arbeitgeberverbands, referierte zum volkswirtschaftlichen Zusammenhang von Fach- und Arbeitskräftemangel und Zuwanderung. Viele Betriebe in der Schweiz, in gewissen Branchen gar die überwiegende Mehrheit, nennen fehlende Arbeitskräfte als grosse Herausforderung in ihrem Alltag. Für den Arbeitgeberverband sind Geflüchtete mit Bleiberecht eine der Gruppen, deren Potenzial zur Behebung dieses Missstandes besondere Beachtung verdient. Der ehemalige Erziehungsdirektor des Kantons Bern, Bernhard Pulver, formulierte daraufhin thesenartig die Bedeutung von Bildung für das Individuum und die Gesellschaft als Ganzes. Er beschrieb eindrücklich, weshalb sich die Investition für beide Seiten lohnt. Würden einer Person Bildungschancen vorenthalten, so verweigere man ihr den Schritt in die Gesellschaft und nehme sie als Mensch nicht wahr.
Zugang zu Bildung für Geflüchtete
In einem ersten längeren Block umriss Alexandra Felder von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung die aktuelle Situation beim Zugang zur Bildung für Erwachsene und junge Menschen, die in die Schweiz geflüchtet sind. Sie äusserte sich zur fehlenden Erfassung und Nutzung von Kompetenzen der neuankommenden Geflüchteten. Aufgezwungene Passivität und prekäre Aufenthaltssicherheit hätten oft langfristige Auswirkungen auf die Möglichkeit, sich ein Leben in der Schweiz aufzubauen. Mit Projekten wie der Integrationsvorlehre sei betreffend der Integration dieser Zielgruppe in die Berufsbildung viel erreicht worden. Oft sei aber die Begleitung in diesem Prozess noch ungenügend. Der Aufbau von sozialen und professionellen Unterstützungsnetzwerken sei ein entscheidender Faktor für erfolgreiche Bildungsbiografien.
Zugang zu Bildung für Menschen ohne Bleiberecht
Im Rahmen eines Nachdiplomstudiums hatte Markus Blättler, Amtsvorsteher des Migrationsamts des Kantons Schwyz, eine Abschlussarbeit zur Frage der Erwerbstätigkeit von Nothilfebeziehenden verfasst. An der Fachtagung der SBAA präsentierte er das daraus entstandene Pilotprojekt für Langzeit-Nothilfebeziehende. Dabei wird abgewiesenen Asylsuchenden die Möglichkeit gegeben, an Beschäftigungsprogrammen teilzunehmen. Die Motivationszulage aus dieser Tätigkeit fliesst auf ein Sperrkonto, welches erst bei einer allfälligen freiwilligen Ausreise nach der rund zweijährigen Dauer des Programms ausbezahlt wird. Damit haben Personen, deren Asylgesuch rechtskräftig abgewiesen wurde, im Kanton Schwyz Möglichkeiten, welche in anderen Kantonen fehlen. Die Ausführungen von Markus Blättler gaben den Anstoss, weiter darüber nachzudenken, welche Bildungsperspektiven und berufliche Entwicklung Menschen offenstehen sollten, die kein formelles Recht auf Aufenthalt in der Schweiz haben.
Ein persönliches und politisches Schlussgespräch
Moderiert von Bettina Looser, Geschäftsführerin der Eidgenössischen Migrationskommission EKM, unterhielten sich Roksan Kasem, Marie-France Roth-Pasquier und Tamara Iskra zum Schluss der Fachtagung über das, was ihnen bleibt, und was ihnen wichtig erscheint. Die Flüchtlingsparlamentarierin Roksan Kasem bedauerte, dass das Bildungsverständnis, welches ihr bei ihrer Ankunft in der Schweiz vermittelt worden war, leider nicht mit dem, an dieser Veranstaltung vertretenen, übereinstimme. Zu oft sei es der Fall, dass Geflüchtete dequalifiziert würden. Sie betonte die Bedeutung von Brückenbauer:innen. Geflüchtete verstünden die Schwierigkeiten Geflüchteter oft besser als alle anderen. Die Nationalrätin Marie-France Roth-Pasquier resümierte, dass Betroffene, Fachpersonen und Politiker:innen zu selten zusammenkämen. Dies habe zur Folge, dass der Politik nicht immer bewusst sei, welche Auswirkungen Gesetze haben. Sie verwies aber auch auf einen Vorstoss der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates, der eine verbesserte Erfassung und Nutzung der Kompetenzen von Geflüchteten zum Ziel habe. Die Integrationsdelegierte Tamara Iskra zeigte sich inspiriert vom Austausch und von den unterschiedlichen Perspektiven. Sie betonte das Potenzial der Zivilgesellschaft. Der Bereich der sozialen Integration werde nach wie vor zu oft unterschätzt.
Ausblick
Die intensiven Diskussionen an der Fachtagung und die Schlüsse, welche sich daraus für die weitere Arbeit der SBAA und der Kampagne «Bildung für alle – jetzt!» ziehen lassen, werden in den kommenden Monaten in einer kurzen Publikation verarbeitet. Die SBAA wird sich weiterhin auf nationaler und kantonaler Ebene dafür einsetzen, dass der Bildungszugang unabhängig vom Aufenthaltsrecht für alle in der Schweiz wohnhaften Personen chancengerechter ausgestaltet wird. Sie wird dabei auf das Wissen und die Erfahrungen der Teilnehmenden der Fachtagung vom 8. September zurückgreifen und die gemeinsame Zusammenarbeit weiterentwickeln.
Foto: © Jana Leu