Anlässlich ihrer zweiten Podiumsdiskussion zum Thema Einbürgerung ging die SBAA am 22. November 2022 ähnlichen Fragen nach, wie bereits im Juni 2022 in St. Gallen: Soll die Integration von Personen, die ein Gesuch um Einbürgerung stellen, von den Behörden geprüft werden und wenn ja, wie kann diese Prüfung sinnvoll erfolgen? Wie müsste ein modernes Bürgerrecht aussehen?
Diskutiert haben Andrin Eichin, Vorstandsmitglied der «Aktion Vierviertel», Merita Shabani, stellvertretende Chefredakteurin von «baba news», Hasim Sancar, Grossrat der Grünen Bern sowie Karin Schifferle vom Zivilstands- und Bürgerrechtsdienst beim Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern. Die Moderation übernahm wiederum Tobias Heiniger von der SBAA.
Im Rahmen unserer Serie «Sind die Einbürgerungsvoraussetzungen noch zeitgerecht?» blicken wir auf das Podium zurück.
Besonderheiten des Einbürgerungsverfahrens im Kanton Bern
Das Bundesgesetz über das Schweizer Bürgerrecht (BüG) gibt den Rahmen für das Einbürgerungsverfahren vor; Kantone und Gemeinden können jedoch strengere Anforderungen stellen. Im Kanton Bern ist aufgrund einer Volksinitiative der Beweis nötig, dass in den letzten zehn Jahren keine Sozialhilfe bezogen wurde. In anderen Kantonen ist dieser erforderliche Zeitraum meist kürzer. Laut Karin Schifferle erschien die Dauer von zehn Jahren aber verhältnismässig, da die Volksinitiative eigentlich verlangt habe, dass nie Sozialhilfe bezogen wurde bzw. der gesamte bezogene Betrag zurückbezahlt wurde (vgl. Art. 7 Abs. 3 lit. b der Verfassung des Kantons Bern). Hasim Sancar merkte an, dass die Situation der «working poor» hier Beachtung finden müsste und der faktische Ausschluss vom Bürgerrecht wegen Armut diskriminierend sei.
Gemäss Andrin Eichin liegen die Probleme aber nicht nur auf kantonaler Ebene. In der Schweiz gebe es über 2000 Gemeinden; genauso viele unterschiedliche Einbürgerungsverfahren gebe es auch. Dies führe zu einer grossen Ungleichheit zwischen den materiellen Anforderungen, Die Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden sei durch die Vereinheitlichung der Einbürgerungstests im ganzen Kanton Bern bereits verbessert worden, meinte Karin Schifferle. Der Kanton biete den Gemeinden zudem Informationen, Beratungen und Kurse zum Einbürgerungsverfahren an. Viele Gemeinden wären wohl froh, wenn das Einbürgerungsgesuch beim Kanton eingereicht werden würde. Gerade Gemeinden, welche selten mit Einbürgerungen in Berührung kommen, weisen im Verfahren Unsicherheiten auf – insbesondere, wenn es um Ausnahmen geht, welche beispielsweise bei Menschen mit Behinderungen angewendet werden. Unterstützung durch den Kanton würde hier zu mehr Professionalität führen. Zusätzlich würde es auch Kosten sparen, wenn Fachleute die Grundvoraussetzungen prüfen würden, was wiederum zu einer Senkung der Gebühren führen würde.
Integration, Zugehörigkeit und Demokratie
Merita Shabani wurde selbst vor kurzem eingebürgert. Sie erlebte das Verfahren als demütigend und absurd und konnte kaum fassen, dass sie einen Nachweis erbringen sollte, zur Gesellschaft zu gehören. Sie lebt seit über 20 Jahren in der Schweiz, ging hier zur Schule und zahlt Steuern. Die Pflicht, die eigene Integration zu beweisen, empfand sie diskriminierend. Dadurch werde es schwierig, sich mit dem Land zu identifizieren und sich zugehörig zu fühlen. Es ist problematisch, dass in einer Demokratie ein grosser Teil der Wohnbevölkerung nicht mitbestimmen kann.
Integration ist vielfältig. Das Heranziehen der Integrationskriterien (vgl. Art. 12 BüG) ist teilweise ungeeignet, um den komplexen Prozess von Integration zu erfassen. Aus Sicht der Behörden ist mehr Arbeit entstanden, seit es die Integrationskriterien gibt (siehe Art. 58a AIG). Es gibt zahlreiche Formulare, die überprüft werden und Details, die abgeklärt werden müssen. Das Kriterium der «Respektierung der Werte der Bundesverfassung» sei z.B. kaum prüfbar, weswegen eine Selbstdeklaration eingeführt wurde, mittels der die Gesuchstellenden unterschreiben, diese Werte zu respektieren. Viele Personen würden die Integrationskriterien ohne weiteres erfüllen, der Nachweis ihrer Integration kann sich aber schwierig gestalten. Auf der anderen Seite helfen die Kriterien bei der Gleichbehandlung.
Die Zukunft des Bürgerrechts
Ein Viertel der Personen, welche in der Schweiz leben, haben keinen Schweizer Pass. Die «Aktion Vierviertel» fordert in ihrem Manifest eine echte Demokratie, in der nicht bloss die drei Viertel, welche einen Schweizer Pass besitzen, sondern alle Personen mitentscheiden können. Im Sinne eines neuen Gesellschaftsmodells soll der Vielfalt, die durch Migration entsteht, angemessen Platz eingeräumt werden.
Aus diesen Gründen kündigte Andrin Eichin eine Volksinitiative an, mit welcher unter anderem ein Anspruch auf Einbürgerung sowie objektive Kriterien und weniger Ermessensspielraum für die Behörden eingeführt werden soll. Während Hasim Sancar die Vision der «Aktion Vierviertel» unterstützt, wies er darauf hin, dass in der Politik kleine Schritte, die nicht zu weit weg von der Realität sind, häufig grössere Chancen auf Erfolg haben.
Grundlegende Fragen
Wir schliessen unsere Serie «Sind die Einbürgerungsvoraussetzungen noch zeitgerecht?» mit folgenden Grundsatzfragen ab: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Wer soll mitbestimmen können, wer wird gesehen und gehört? Die SBAA ist bestrebt zu einer Gesellschaft beizutragen, die alle miteinbezieht und in der die Demokratie tatsächlich gelebt wird.
Serie: Sind die Einbürgerungsvoraussetzungen noch zeitgerecht?
Teil 1: Ein Bürgerrecht – jedoch vielfältige Anforderungen, 27.04.2022
Teil 2: Strenges Einbürgerungsverfahren im Kanton St. Gallen, 04.07.2022
Teil 3: Respektierung der Werte der Bundesverfassung, 25.08.2022