Die Situation in den Rückkehrzentren des Kantons Bern (RZB) wurde in den vergangenen Jahren immer wieder beanstandet. Deshalb verlangte ein kantonaler parlamentarischer Vorstoss Ende 2020 eine Untersuchung durch eine neutrale Instanz zur Frage, inwiefern die Situation in den Rückkehrzentren des Kantons Bern (RZB) menschenrechtskonform und kindgerecht ausgestaltet ist. Die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern erteilte daraufhin der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) einen Auftrag.
Gegenstand dieses Berichts bilden die regulären RZB, welche sich in Aarwangen, Biel-Bozingen und in Gampelen befinden. Die Kommission besuchte die Zentren in der Zeitspanne von Mai 2021 bis August 2021. Sie veröffentlichte ihren Bericht mit Empfehlungen an die Sicherheitsdirektion im Februar 2022 und äusserte sich darin insbesondere besorgt über die Lebensbedingungen von Kindern und deren Familien (siehe Medienmitteilung NKVF vom 10.2.22).
Trotz Nothilfeleistungen weiterhin in Not
Die NKVF kritisiert die Nothilfeleistungen, die im Kanton Bern pro Person bloss 8.- Franken pro Tag betragen (Art. 9 EV AIG und AsylG), als zu knapp. Mit zunehmender Grösse einer Familie nimmt dieser Betrag pro Kopf linear ab. Ausserdem empfiehlt die NKVF, dass Bewohner:innen dieses Geld nicht auch noch für Hygieneartikel verwenden müssen. In allen RZB sollen deshalb Hygieneartikel den Bewohner:innen kostenlos abgegeben und Frauen und Mädchen über dieses Recht informiert werden.
In ihrer Stellungnahme zum Bericht verweist die Sicherheitsdirektion betreffend der Höhe der Nothilfe auf ihre fehlende Zuständigkeit. Immerhin hat sie sich bereit erklärt, die Abschaffung der degressiven Abstufung für Familien zu prüfen und Frauen konsequent über ihre Rechte aufzuklären. Die SBAA befürwortet eine Erhöhung der Nothilfeleistung sowie die Abschaffung der Abstufung bei Familien. Die Praxis anderer Kantone zeigt, dass der Kanton Bern diesbezüglich sehr wohl einen Handlungsspielraum hat. Es ist der Kommission zuzustimmen, dass diese Abstufung widersinnig ist, da gerade Kinder und Jugendliche besondere Bedürfnisse aufweisen. Ausserhalb der Rückkehrzentren wird diesen Bedürfnissen Rechnung getragen, indem Familien zusätzliche finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten, z.B. in Form von Kinderzulagen.
Kindgerechte Lebensbedingungen schaffen
Die NKVF hält in ihrem Bericht fest, dass der Besuch der Grundschule oder des Kindergartens grundsätzlich zentrumsintern organisiert wird (Art. 80 AsylG). Sie kritisiert, dass erst nach Ablauf eines Jahres geprüft wird, ob eine Eingliederung in die öffentliche Schule möglich ist. Der zentrumsinterne Unterricht müsse sachgerecht sein und eine baldmögliche Einschulung in die öffentliche Schule in Betracht gezogen werden. Ausserdem empfiehlt die Kommission die Einführung von alltagsstrukturierenden Beschäftigungs- und Ausbildungsmöglichkeiten; als Beispiel wird bei jungen Erwachsenen die Ausübung einer Berufslehre genannt.
Eine über längere Zeit andauernde separate Beschulung wird auch durch die SBAA beanstandet. Nur eine möglichst rasche, wo sinnvoll gestaffelte, Inklusion in die öffentliche Grundschule entspricht dem Kindesinteresse. Auch hinsichtlich der Empfehlung betreffend Ausbildungsmöglichkeiten für junge Erwachsene teilt die SBAA die Meinung der Kommission. Die SBAA empfiehlt, dass unter bestimmten Voraussetzungen mit einem – wenn nötig befristeten – Aufenthaltsrecht der Zugang zu Bildung ermöglicht wird. Auf diese Weise können für die betroffenen Personen neue Perspektiven geschaffen und die öffentlichen Finanzen entlastet werden (siehe Fachbericht «Zugang zu Bildung unabhängig vom Aufenthaltsrecht» der SBAA).
Enge Räume und mangelhafte Infrastruktur
Die Kommission stellt fest, dass die Räume für Familien mit Kindern in den RZB jeweils 14–25 m² aufweisen. In Anbetracht dessen, dass diese Räume nicht nur als Schlafzimmer, sondern auch zum Wohnen, Essen und Spielen genutzt werden, seien die verfügbaren Räume ungenügend. Die NKVF fordert deshalb die Errichtung von Räumen für Kinder und Jugendliche, die mit verschiedenen Nutzungszeiten versehen werden sollen. Diese Räume sollen ihnen als Rückzugsmöglichkeit zur altersgerechten Entfaltung dienen (Art. 27 und Art. 31 Kinderrechtskonvention). Die SBAA befürwortet auch diese Forderung der Kommission, da Kinder und Jugendliche besonders schutzbedürftig sind und ihre persönliche Entwicklung gefördert werden muss (siehe Fachbericht «Vernachlässigtes Kindeswohl» der SBAA).
Schliesslich kritisiert die Kommission, dass die Gemeinschaftsküchen teilweise schimmelbefallen sind, die sanitären Anlagen nicht genügend Sichtschutz bieten und nicht klar nach Geschlechtern getrennt sind. Letzteres betreffe vor allem Frauen und Mädchen, die sich nachts nicht sicher fühlen, die sanitären Anlagen zu benutzen. Die SBAA teilt die Position der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), die sanitären Anlagen so auszugestalten, dass sich die betroffenen Personen bei deren Benützung sicher fühlen.
Verantwortung der Behörden für menschenrechtskonforme Rückkehrzentren
Die SBAA ist besorgt über die Erkenntnisse der NKVF und unterstützt deren Forderungen. Dass die Sicherheitsdirektion die Schlussfolgerungen des Berichts in ihrer Stellungnahme als «politisch» und nicht «juristisch» bezeichnet, ist verfehlt. Auch der Standpunkt, dass die Anpassungen nicht von den demokratisch festgelegten gesetzlichen Vorgaben abweichen dürfen, greift zu kurz. Da die betroffenen Menschen ihren Aufenthaltsort nicht frei wählen können, trifft der Kanton eine besondere Fürsorgepflicht. Die Behörden sind somit dafür verantwortlich, dass die Rückkehrzentren menschenrechtskonform und kindgerecht ausgestaltet sind. Neben der Bundesverfassung ist die Schweiz auch durch die UNO-Kinderrechtskonvention dazu verpflichtet, die Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen zu schützen, ihre Entwicklung zu fördern und das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen.