Auch ohne Corona-Virus sind die Lebensbedingungen für die Geflüchteten auf den griechischen Inseln katastrophal. Denn seit Abschluss des Flüchtlingsdeals zwischen der EU und der Türkei im Jahr 2016 müssen die Menschen auf den griechischen Inseln so lange ausharren, bis sie einen positiven Asylentscheid erhalten oder wieder in die Türkei ausgeschafft werden. Und immer wieder kommen neue Geflüchtete an. Geplant für 6000 Menschen, leben heute im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos mehr als 20’000 Menschen auf engstem Raum unter prekären hygienischen Bedingungen. Ein idealer Nährboden also für das Covid-19. Nach dem ersten bestätigten Fall auf Lesbos ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Virus die Flüchtlingslager erreicht. Viele Menschen in Moria leiden an Vorerkrankungen, weshalb sie das Corona-Virus besonders hart treffen wird. Da kaum medizinische Versorgung vorhanden ist, wird in vielen Fällen eine Ansteckung verheerende Folgen haben (vgl. Artikel in der ZEIT ONLINE vom 18.03.2020). Die Organisation Médecins sans Frontières fordert deshalb schon länger die Evakuierung dieser Flüchtlingslager. Europa und die Schweiz tragen klar eine Mitverantwortung für die rechtliche und humanitäre Krise in Griechenland.
Die Schweiz muss handeln
Bereits im Zuge der türkischen Grenzöffnung Ende Februar 2020 und der drohenden Eskalation der Situation forderten verschiedene Petitionen sowie Nationalrätin Samira Marti den Bundesrat zum Handeln auf (Motion 20.3024, eingereicht am 3.3.2020). Er solle die Kapazitäten der Bundesasylzentren und kantonalen Asylzentren vollständig auslasten. Aufgrund des Corona-Virus und den Schutzmassnahmen des Bundes können die Asylzentren nun nicht mehr vollständig ausgelastet, vielmehr müssen die Bewohner*innen verteilt werden. Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) ist aber weiterhin der Ansicht, dass der Bund geflüchtete Personen aus Griechenland übernehmen kann und dies auch tun sollte. Angesichts der drohenden Ausbreitung des Corona in Griechenland ist dies dringender denn je. Die SBAA unterstützt deshalb die Petition von Amnesty International Schweiz, die folgende Forderungen enthält:
- Die Schweiz soll so schnell als möglich ein Kontingent von Flüchtlingen von den griechischen Inseln übernehmen.
- Die Schweiz soll die Rückführung von Flüchtlingen, denen in Griechenland Asyl gewährt worden ist, in dieses Land aussetzen.
Recht auf Zugang zu Asylverfahren
Es kann und darf nicht sein, dass schutzbedürftige asylsuchende Personen auf den griechischen Inseln bleiben müssen oder vor den geschlossenen EU-Aussengrenzen stranden. Griechenland verstösst mit der Aussetzung des Asylrechts für alle, die nach dem 1. März 2020 eingereist sind sowie den illegalen Push-backs an seinen Aussengrenzen gegen das Non-Refoulement-Gebot (Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention und Art. 3 EMRK). Um die Einhaltung dieses Prinzips zu gewährleisten, müssen Staaten sicherstellen, dass schutzsuchenden Personen ihr Recht auf Zugang zu einem Asylverfahren gewährleistet wird (vgl. Artikel «Das Asylrecht als Kollateralschaden der Grenzkontrollen» vom 26.03.2020).
In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Schweiz durch die am 13.03.2020 beschlossenen Einreisebeschränkungen – welche einer faktischen Grenzschliessung für asylsuchende Personen gleichkommt – nicht auch gegen diese völkerrechtlichen Verpflichtungen verstösst (Medienmitteilung des Bundesrats vom 13.03.2020). Während das Staatssekretariat für Migration (SEM) diese Frage verneint, sieht die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) darin klar einen Verstoss gegen das Völkerrecht (Radio SRF, Rendez-vous vom 26.03.2020). Diese Ansicht teilt die SBAA. Sie unterstützt deshalb auch die Forderung der Demokratischen Jurist*innen Schweiz (DJS), die Schweizer Grenzen für asylsuchende Personen zu öffnen und sie angemessen und ohne Ansteckungsrisiko unterzubringen. Wie die DJS fordern, muss das Recht auf Gesundheit für alle gewährleistet werden, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Die Schweiz muss sich auch in Zeiten von Corona für ein solidarisches menschenrechtskonformes europäisches Asylsystem einsetzen.