Wie ist die Einbürgerungspraxis im Kanton St. Gallen? Wie prüfen die Behörden die Integrationskriterien? Wie müsste ein modernes Bürgerrecht aussehen? Diese und andere Fragen wurden am Podium der SBAA vom 22. Juni im Kulturzentrum Lokremise in St. Gallen diskutiert (siehe Flyer). Vertreten waren Urs Bachmann vom kantonalen Amt für Gemeinden und Bürgerrecht, Sonja Lüthi, Stadträtin von St. Gallen und Kantonsrätin der GLP sowie Tatiana Pinto Cardoso, Co-Präsidentin des Instituts Neue Schweiz (INES). Die Moderation übernahm Tobias Heiniger von der SBAA. Im Rahmen unserer Online-Serie blicken wir auf das Podium zurück und gehen der Frage nach, ob die Einbürgerungsvoraussetzungen im Kanton St. Gallen noch zeitgemäss sind.
Grosse Unterschiede zwischen den Gemeinden
Die Podiumsgäste waren sich einig, dass es Unterschiede zwischen kleinen, tendenziell konservativeren Gemeinden und grösseren, eher liberalen Städten gibt. Während Erstere nur wenige Personen pro Jahr einbürgern, gibt es in grösseren Gemeinden und Städten mehr Einbürgerungen und dementsprechend mehr Knowhow und Professionalität. Da das Gesetz keine Vorschriften vorsieht, wie die Integration geprüft werden soll, gibt es in manchen Gemeinden Tests, in anderen Einbürgerungsgespräche. All diese Faktoren führen dazu, dass die einbürgerungswilligen Personen nicht überall die gleichen Chancen haben. Tatiana Pinto Cardoso hielt fest, dass dies zu Diskriminierungen führe und diese Willkür auf Gemeindeebene problematisch sei.
Im Kanton St. Gallen muss ein Einbürgerungsgesuch bei der Gemeinde eingereicht werden. Nach der Gutheissung wird es an den Kanton und danach ans Staatssekretariat für Migration (SEM) weitergeleitet. Der (mangelhafte) Zugang zur Gesuchseinreichung wurde thematisiert. So sei in einigen Gemeinden das Formular nicht online verfügbar. Laut Urs Bachmann hat der Kanton keine Möglichkeit, den Eingang und die Weiterbehandlung des Gesuchs zu überprüfen. Für ihn wäre es eine Option, die Gesuche digital beim Kanton einzureichen, analog zur Steuererklärung. Der Kanton hätte so den Überblick, würde die Triage übernehmen und könnte zum Beispiel innert nützlicher Frist handeln, sollte eine Gemeinde ein Gesuch nicht zeitnah bearbeiten. Die Verfahren würden durch die Digitalisierung beschleunigt. Bachmann wies darauf hin, dass der Kanton Zürich ein Pilotprojekt zur digitalen Einreichung von Einbürgerungsgesuchen habe. Gemäss Pinto Cardoso kann mit der Digitalisierung und Triage ein Überblick verschafft werden, aber Ungleichbehandlungen können damit nicht verhindert werden.
Strenge Voraussetzungen auf kantonaler Ebene
Diskutiert wurde nicht nur über die kommunale, sondern auch über die kantonale Ebene: Bei der erforderlichen Aufenthaltsdauer ist der Kanton St. Gallen deutlich strenger als der Bund und andere Kantone. Auf nationaler Ebene ist festgelegt, dass es in der Schweiz einen Aufenthalt von mindestens zehn Jahren (Art. 9 BüG) und im Kanton eine Wohnsitzdauer von zwei bis fünf Jahren braucht (Art. 18 BüG). Der Kanton St. Gallen verlangt das Maximum – fünf Jahre ununterbrochenen Wohnsitz im Kanton und in derselben Gemeinde (Art. 9 BRG Kt. SG). Wenn jemand von Uzwil nach St. Gallen umziehe, beginnt die Frist der Gemeinde wieder bei Null. Bachmann gab zu bedenken, dass man in der heutigen Zeit häufiger umziehe und diese Regelung wohl nicht ganz zeitgemäss sei. Weiteren Handlungsspielraum ortete Bachmann bei jungen Menschen: Die Aufenthaltsdauer wird heute nur zwischen dem 8. und 18. Lebensjahr doppelt gezählt. Man könnte sich überlegen, dies bei allen bis zum 20. Lebensjahr so zu handhaben.
Prüfung der Integrationskriterien
Für spannende Diskussionen sorgten die Fragen rund um die Prüfung der Integrationskriterien. Gemäss Gesetz ist erfolgreich integriert, wer die öffentliche Sicherheit und Ordnung beachtet, die Werte der Bundesverfassung respektiert, sich in einer Landessprache verständigen kann, am Wirtschaftsleben oder am Erwerb von Bildung teilnimmt und die Integration der Familie unterstützt (Art. 12 BüG).
Pinto Cardoso – hier geboren und vor kurzem eingebürgert – kritisierte, dass es in der Schweiz zurzeit ein assimilatorisches Staatsbürgermodell gebe. Der Staat verlange die Integration, die erreicht werden müsse. Bei ihrem eigenen Einbürgerungsgespräch habe sie die Werte der Bundesverfassung erläutern und drei Beispiele geben müssen, wie sie diese auslebt. Sie warf am Podium zudem die Frage auf: «Wieso muss sich jemand beweisen, der/die ohne Schweizer Pass zur Welt kommt, und wieso muss sich jemand, der/die mit einem Schweizer Pass zur Welt kommt, nicht beweisen?» Sonja Lüthi äusserte Verständnis für diese Frage, erachtete es aber grundsätzlich als den richtigen Weg, die Einbürgerung als «Abschluss der Integration» zu sehen. Gleichzeitig war auch sie der Meinung, dass man die aktuellen Integrationsbedingungen auf das vom Bund verlangte Niveau senken sollte. Sie forderte zudem, dass Personen, die schon lange hier leben, auf kommunaler Ebene die Möglichkeit zum Abstimmen und Wählen unabhängig vom Bürgerrecht haben sollten.
Gemäss Bachmann ist es schwierig, die Integration zu prüfen. Man müsse das Gesamtbild ansehen und nicht jemanden wegen einer falsch beantworteten Frage festnageln. Er erachtet es aber als wichtig, gewisse Zusammenhänge in der Schweiz zu kennen. Auch die Gleichstellung von Mann und Frau und eine minimale sprachliche Verständigung seien zentrale Elemente. Auch für Lüthi ist die Identifikation mit den Schweizer Werten von Bedeutung. Pinto Cardoso hingegen vertrat den Standpunkt, dass man das Zusammengehörigkeitsgefühl weder begründen noch nachweisen müsse. Die Mehrfachzugehörigkeit sei in der Gesellschaft schon lange Realität, und dies müsse anerkannt und das politische System entsprechend angepasst werden.
Fazit
Wie das Podium in St. Gallen aufgezeigt hat, ist der Weg zur Einbürgerung nicht nur steinig, sondern auch lang. Aufgrund der politischen Mehrheiten in St. Gallen ist es aktuell schwierig, Veränderungen zu erreichen. Durch die konkreten diskutierten Verbesserungsansätze gibt es aber Hoffnung, dass das Bürgerrecht für mehr Menschen zugänglicher wird. Die SBAA wird sich weiterhin für faire, chancengerechte und diskriminierungsfreie Einbürgerungsverfahren einsetzen und weitere Veranstaltungen dazu organisieren. Das Schweizer Bürgerrecht soll nicht länger ein Privileg für Wenige darstellen.
Bild: Ashwine Kugabalan
Serie: Sind die Einbürgerungsvoraussetzungen noch zeitgerecht?
Teil 1: Ein Bürgerrecht – jedoch vielfältige Anforderungen, 27.04.2022