Unab­hän­gi­ge NGOs leh­nen Schwei­zer Betei­li­gung am EU-Asyl­pakt (GEAS) ab

Medi­en­mit­tei­lung zur Ver­nehm­las­sung 2024/46: Über­nah­me und Umset­zung der Rechts­grund­la­gen zum EU-Migra­ti­ons- und Asylpakt.

Das Bünd­nis unab­hän­gi­ger Rechts­ar­beit im Asyl­be­reich hat heu­te sei­ne Ver­nehm­las­sungs­ant­wort zur Schwei­zer Über­nah­me des EU-Migra­ti­ons- und Asyl­pak­tes ein­ge­reicht. Auf­grund der mas­si­ven Ver­schär­fun­gen des Gemein­sa­men Euro­päi­schen Asyl­sys­tems (GEAS) und der damit ein­her­ge­hen­den Aus­höh­lung des Asyl­rechts lehnt das Bünd­nis den EU-Asyl­pakt voll­um­fäng­lich ab.

Simon Noo­ri, Co-Geschäfts­lei­ter von Soli­da­ri­té sans fron­tiè­res und Co-Autor der Ver­nehm­las­sungs­ant­wort: «Die EU-Asyl­re­form ist ein Knie­fall vor den rech­ten und rechts­extre­men Kräf­ten in Euro­pa und basiert auf dem Irr­glau­ben, Migra­ti­on las­se sich durch Ent­rech­tung und Gewalt tat­säch­lich auf­hal­ten. Dabei löst die Reform die der­zei­ti­gen Pro­ble­me im Asyl- und Migra­ti­ons­be­reich nicht, son­dern ver­stärkt sie sogar: Die Staa­ten an der EU-Aus­sen­gren­ze wer­den im Stich gelas­sen, Asyl­su­chen­de wer­den sank­tio­niert und inter­niert und der neue «Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus» ist nur ein lücken­haf­ter Ablass­han­del.»

Lara Hoeft, Juris­tin, Co-Geschäfts­lei­te­rin von Pikett Asyl und Co-Autorin der Vernehmlassungsantwort:
«Wei­ter­ent­wick­lun­gen im Sin­ne von Geflüch­te­ten oder Nor­men zum Schutz von asyl­su­chen­den Per­so­nen sind in der Reform kaum zu fin­den. Die EU hat es ver­säumt, das dys­funk­tio­na­le Dub­lin-Sys­tem zu über­win­den und eine pro­gres­si­ve Migra­ti­ons­po­li­tik zu eta­blie­ren. Men­schen­wür­de und Soli­da­ri­tät mit Geflüch­te­ten, Grund- und Men­schen­rech­te sowie der Zugang zum Recht auf Asyl wer­den eben­so wenig ver­tei­digt, wie lega­le Migra­ti­ons­und Flucht­we­ge geschaf­fen wer­den.»

Die Schweiz muss nur die Tei­le des Pak­tes über­neh­men, die eine Wei­ter­ent­wick­lung des Schen­gen-/Dub­lin-Besitz­stands dar­stel­len. Sie betei­ligt sich jedoch mit­tel­bar an den men­schen­recht­lich pro­ble­ma­ti­schen Ver­fah­ren an den EU-Aus­sen­gren­zen und pro­fi­tiert von der euro­päi­schen Abschot­tung, ohne selbst Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Aber auch in der Schweiz wird es zu ein­schnei­den­den Ver­schär­fun­gen für flüch­ten­de  Men­schen kommen:

  • Der Dub­lin-Mecha­nis­mus wird als Grund­prin­zip bei­be­hal­ten und im Detail wei­ter verschärft.Durch die Ver­län­ge­rung der Dub­lin-Über­stel­lungs­fris­ten wer­den flüch­ten­de Men­schen noch län­ger in einer pre­kä­ren recht­li­chen Grau­zo­ne gehal­ten und von Aus­schaf­fun­gen bedroht sein.
  • Neu kön­nen Zwangs­mass­nah­men gegen­über Kin­dern ab sechs Jah­ren ange­wen­det wer­den, z.B. um ihre Fin­ger­ab­drü­cke zu erfas­sen oder um sie in die ver­meint­lich zustän­di­gen Mit­glied­staa­ten auszuschaffen.
  • Durch die neue Über­prü­fungs­ver­ord­nung und die revi­dier­te EURO­DAC-Ver­ord­nung wird es zu mehr Inhaf­tie­run­gen und zu einer mas­sen­haf­ten Daten­er­fas­sung von Geflüch­te­ten auch im Inland kom­men. Das Risi­ko für Racial Pro­fil­ing wird sich wei­ter erhöhen.
  • Anstatt die Flüch­ten­den ihre Ziel­staa­ten wäh­len zu las­sen, wie dies für Ver­trie­be­ne aus der Ukrai­ne ohne grös­se­re Pro­ble­me funk­tio­nier­te, igno­riert die GEAS-Reform die Inter­es­sen der Asyl­su­chen­den. Ange­sichts der sehr unter­schied­li­chen Lebens- und Schutz­be­din­gun­gen in den ver­schie­de­nen Mit­glied­staa­ten wird dies nicht zu einer Ver­rin­ge­rung der Sekun­där­mi­gra­ti­on inner­halb Euro­pas füh­ren. Statt­des­sen wird sich die Situa­ti­on von Asyl­su­chen­den auf­grund neu­er Sank­tio­nen wei­ter verschlimmern.

Mit der Reform stirbt die Hoff­nung auf eine soli­da­ri­sche euro­päi­sche Asylpolitik.

Das Bünd­nis unab­hän­gi­ger Rechts­ar­beit im Asyl­be­reich lehnt daher die Über­nah­me des EUAsyl­pak­tes und die damit ein­her­ge­hen­den men­schen­ver­ach­ten­den Ver­schär­fun­gen auch im Schwei­zer Asyl­sys­tem ab.

  • Soll­te die Über­nah­me der Reform nicht ver­hin­dert wer­den kön­nen, for­dert das Bünd­nis von der Schweiz, dass die bereits jetzt äus­serst pre­kä­ren Lebens­be­din­gun­gen von Asyl­su­chen­den nicht noch wei­ter ver­schlech­tert wer­den. Statt­des­sen soll­ten die weni­gen Spiel­räu­me, die die Reform bie­tet, zuguns­ten der Geflüch­te­ten genutzt werden:
  • Die Schweiz soll­te die Haft­be­din­gun­gen, den Rechts­schutz, die Unter­brin­gung sowie die Rechts­po­si­ti­on migrier­ter Per­so­nen ver­bes­sern und den Fami­li­en­be­griff erweitern.
  • Die Schweiz soll­te das Schutz- und Lebens­ni­veau von Asyl­su­chen­den und Geflüch­te­ten an euro­päi­sche Stan­dards anglei­chen. Es kann nicht sein, dass sich die Schweiz ledig­lich an den Tei­len der Reform betei­ligt, die extrem nach­tei­lig für die betrof­fe­nen Men­schen sind, die euro­päi­schen Schutz­vor­schrif­ten jedoch nicht beachtet.
  • Die Schweiz soll­te die Rechts­po­si­ti­on vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­ner an jene des sub­si­diä­ren Schut­zes der EU angleichen.
  • Die Schweiz soll­te sich ver­pflich­tend am euro­päi­schen Soli­da­ri­täts­me­cha­nis­mus betei­li­gen, und zwar ver­bind­lich durch Über­nah­men von Schutzsuchenden.
  • Die Schweiz soll­te sich zum Kin­des­schutz beken­nen und auf Über­stel­lun­gen und Zwangs­mass­nah­men gegen­über Min­der­jäh­ri­gen verzichten.
  • Die Schweiz soll­te einen kon­se­quen­ten, unent­gelt­li­chen Rechts­schutz im Screening‑, Asyl und Weg­wei­sungs­ver­fah­ren sicherstellen.

In der Ver­nehm­las­sungs­ant­wort wird detail­liert auf die ein­zel­nen Rechts­ak­te des Pak­tes und auf ihre Bedeu­tung für die Schweiz ein­ge­gan­gen. Dabei wer­den ver­schie­de­ne For­de­run­gen gestellt, die indes stets zweit­ran­gig hin­ter der­je­ni­gen der Ableh­nung des Pak­tes als Gan­zes stehen.

Kon­takt für Medienanfragen:
Simon Noo­ri, Co-Geschäfts­lei­ter von Soli­da­ri­té sans fron­tiè­res: simon.noori@sosf.ch, 031 311 07 70
Lara Hoeft, Co-Geschäfts­lei­te­rin von Pikett Asyl: l.hoeft@pikett-asyl.ch, 061 691 11 58

An der Erstel­lung der Ver­nehm­las­sung betei­lig­te Organisationen:
Demo­kra­ti­sche Jurist*innen Schweiz
Ver­ein eli­sa-asi­le, Genf
Frei­platz­ak­ti­on Basel
Frei­platz­ak­ti­on Zürich
Pikett Asyl
Schwei­ze­ri­sche Beob­ach­tungs­stel­le für Asyl- und Ausländerrecht
Soli­da­ri­té sans frontières

Wei­te­re Mit­glie­der im Bünd­nis unab­hän­gi­ger Rechts­ar­beit im Asylbereich:
AsyLex
Cent­re social pro­tes­tant Genf
Rechts­hil­fe Asyl-Migration
Soli­da­ri­täts­netz Bern

13. Novem­ber 2024 (mh)