Anni Lanz lernte den jungen Afghanen kennen, als sie ihn im Februar in einem Ausschaffungsgefängnis besuchte. Wenige Tage später wurde er trotz mehrerer Suizidversuche unter Anwendung der Dublin-Verordnung nach Italien zurückgeführt – obwohl mehrere Ärzte davon abgeraten hatten und er auf seine Schwester angewiesen ist, die in der Schweiz lebt. Nachdem das Aufnahmezentrum in Mailand den jungen Afghanen abgelehnt hatte, hielt er sich in Domodossola auf, musste bei minus 10 Grad im Freien schlafen und hatte Erfrierungen. Als Anni Lanz davon erfuhr, reiste sie im Februar nach Domodossola. Sie wollte ihn in ihrem Auto zurück in die Schweiz bringen, wurde dabei aber von der Grenzpolizei gestoppt. Der junge Afghane wurde zurück nach Domodossola gebracht, Anni Lanz wegen „Erleichterung der rechtswidrigen Einreise in die Schweiz“ (Art. 116 Ausländergesetz) zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 50 Franken und einer Busse bestraft. Da sie den Strafbefehl nicht akzeptieren wollte, kam es gestern zum Prozess vor dem Bezirksgericht Brig.
Wie Infosperber berichtet, sagte der Staatsanwalt gestern, Anni Lanz habe gewusst, dass sie eine Straftat begehe. Er meinte aber auch, dass es sich um einen „entschuldbaren Notfall“ handle. Ob eine Strafmilderung angebracht sei, müsse das Gericht nun prüfen. Anni Lanz‘ Verteidiger beantragte, alle Vorwürfe fallenzulassen. Er argumentierte u.a., dass die Staatsgewalt unrechtmässig ausgeführt worden sei, da die Anordnung von Zwangsmassnahmen bei heiklem Gesundheitszustand verboten sei. Zudem sei die Rückführung nach Italien noch während der Beschwerdefrist vollzogen worden. Der Anwalt vertrat zudem die Ansicht, dass Anni Lanz gemäss Schweizer Gesetz sogar verpflichtet gewesen sei, zu helfen. Die Urteilseröffnung steht noch aus.
Bei Anni Lanz handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Im Jahr 2017 wurden gemäss Bundesamt für Statistik 785 Personen wegen Verstoss gegen Art. 116 des Ausländergesetzes verurteilt. Aus der Statistik ist jedoch nicht ersichtlich, wie viele Personen aus humanitären Gründen handelten. Die SBAA fordert, dass Solidarität und humanitäre Hilfe wieder entkriminalisiert werden. Menschen, die sich uneigennützig, friedlich und solidarisch einsetzen und keine finanziellen Vorteile daraus ziehen, sollen geschützt und deren Handeln nicht sanktioniert werden.