Die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) hat den Fall von «Ikena» und ihrer Familie im Jahr 2019 aufgearbeitet und dokumentiert (siehe Fall Nr. 346 und Beitrag im «Fokus» vom Dez. 2019). Nachdem die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (BVGer) während drei Jahren hängig war, hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) nun entschieden, die Familie vorläufig aufzunehmen.
Chronologie des Falls
«Ikena» verliess mit ihrem Ehemann, drei Kindern und ihrer Schwester «Yara» 2016 den Nordirak, um «Yara» vor einer Zwangsheirat zu schützen. Nach ihrer Ausreise wurden sie weiterhin unter Druck gesetzt und bedroht. Da sie «Yaras» Zwangsheirat mit ihrem verwitweten Schwiegervater ablehnten, befürchtete die Familie, Opfer von Ehrenmord zu werden. Um Schutz zu finden, stellten sie anfangs 2017 in Griechenland im Rahmen des europäischen Umverteilungsprogramms Relocation einen Einreiseantrag für die Schweiz. Das Relocation-Programm sieht vor, dass nur asylsuchende Personen transferiert werden, die eindeutig internationalen Schutz benötigen. Bei der Ankunft im Zielland müssen die Personen einen regulären Asylantrag stellen. Die Mehrheit dieser Personen stammt aus Syrien, Eritrea und dem Irak.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) führte in Griechenland Identitätsabklärungen, Sicherheitsanhörungen und Gesundheitskontrollen durch und bewilligte den Einreiseantrag von «Ikena» und ihrer Familie. Im Frühling 2017 reisten sie auf dem Luftweg legal in die Schweiz und reichten Asylgesuche ein. Nach den Asylanhörungen lehnte das SEM die Asylgesuche aber ab und ordnete die Wegweisung in den Irak an.
Die darauffolgende Beschwerde hiess das BVGer gut, mit der Begründung, dass das SEM die Relocation-Akten mit wichtigen Informationen zu den Fluchtgründen und der Schutzbedürftigkeit nicht vollständig erfasst habe. Das SEM musste die Asylgesuche nochmals beurteilen, wies sie im März 2018 aber erneut ab. Im April 2018 reichte der Anwalt der Familie eine zweite Beschwerde ans BVGer ein. Erst drei Jahre später, im April 2021, entschied das SEM im Rahmen der Vernehmlassung durch das Bundesverwaltungsgericht, die Familie vorläufig aufzunehmen. Es begründete den Entscheid damit, dass die Wegweisung in den Irak nicht zumutbar sei.
Kritik der SBAA
Während der Entscheid der (zumindest) vorläufigen Aufnahme der Familie in der Schweiz zu begrüssen ist, war der negative Erstentscheid des SEM aus Sicht der SBAA unmenschlich und unzumutbar. Durch die Wegweisung in den Irak, welche erst durch den Transfer in die Schweiz möglich geworden war, verlor die Familie jeglichen Schutz vor Verfolgung. In Griechenland war sie immerhin vor unmittelbarer Verfolgung sicher gewesen. Dass Personen, die ins Relocation-Programm aufgenommen wurden, wieder weggewiesen werden können, ist äusserst problematisch. Schliesslich ermöglichte die Schweiz die Einreise der Familie erst nach verschiedenen Überprüfungen und nachdem das SEM die Familie als besonders schutzwürdig und verletzlich eingestuft hatte. Die SBAA fordert, dass Personen, die über ein Relocation- oder Resettlement-Programm legal in die Schweiz einreisen, die Garantie für ein Bleiberecht erhalten.
Die SBAA kritisiert zudem die äusserst lange Behandlungsdauer des Bundesverwaltungsgerichts. Es ist unerträglich und unzumutbar, dass die betroffene Familie mit ihren drei Kindern während drei Jahren in absoluter Ungewissheit leben musste. Es stellt sich die Frage, warum sowohl das BVGer als auch das SEM so lange zugewartet haben. Die vorläufige Aufnahme hätte auch schon vor drei Jahren verfügt werden können.