Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 1. April 2020 verschiedene Massnahmen im Asylbereich im Zusammenhang mit dem Corona-Virus beschlossen und dazu eine Verordnung erlassen (COVID-19-Verordnung Asyl). Bundesrätin Karin Keller-Sutter sagte an der Medienkonferenz, auch in einer Krise müsse der Rechtsstaat seine Wirkung entfalten und die Gefahr vor Ansteckungen mit dem Corona-Virus müsse minimiert werden. Aus genau diesen Gründen ist es aus Sicht der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA) und der Plattform ZiAB «Zivilgesellschaft in Asylbundeszentren» unverständlich, weshalb sich der Bundesrat gegen eine Sistierung der Asylverfahren ausgesprochen hat. Verschiedene europäische Staaten, u.a. Deutschland, Grossbritannien und Belgien, haben aus Gründen des Gesundheitsschutzes die Befragungen ausgesetzt.
Keine Befragungen ohne Rechtsvertretung
Laut neuer Verordnung soll die Anzahl der an Befragungen teilnehmenden Personen reduziert werden und die von Gesetzes wegen zugewiesene Rechtsvertretung kann, muss aber pandemiebedingt nicht mehr anwesend sein. Die SBAA und die Plattform ZiAB kritisieren, dass dadurch die Verantwortung vom Bund an die mandatierten Rechtsschutzorganisationen abgegeben wird. Er bringt diese damit in eine schwierige Zwickmühle. Einerseits sind sie für den Rechtsschutz der asylsuchenden Personen verantwortlich, andererseits für den Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeitenden. Dass die Beschwerdefrist von 7 auf 30 Tagen erhöht wurde, ist zu begrüssen, die eventuell abwesende Rechtsvertretung kann dadurch aber nicht kompensiert werden. Ihre Anwesenheit ist für ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren unabdingbar.
Die Forderung nach einer Sistierung der Asylverfahren sollte aber nicht in ein Einreiseverbot umgemünzt werden. Besorgt haben die SBAA und die ZiAB zur Kenntnis genommen, dass es der Bundesrat weiterhin als völkerrechtlich zulässig erachtet, schutzsuchende Personen an der Grenze zurückzuweisen, wenn sie aus einem sog. ‘sicheren Drittstaat’ kommen. Mit dieser Haltung verschliesst er die Augen davor, dass es für Geflüchtete beispielsweise im pandemiebetroffenen Italien faktisch schwierig bis hin zu unmöglich sein dürfte, unter den aktuellen Begebenheiten einen Asylantrag zu stellen. Personen, die an der Schweizer Grenze ein Asylgesuch einreichen, sind ins Land zu lassen sowie ihre Gesuche zu prüfen. Dies ist nicht nur eine völkerrechtliche Pflicht der Schweiz, sondern auch ein Akt der Solidarität mit den Nachbarstaaten. Die Schweiz muss sich auch in Zeiten von Corona an ihre rechtsstaatlichen Verpflichtungen wie das Recht auf Einreichung eines Asylantrags und das Non-Refoulement Prinzip halten. Wie die SBAA und die ZiAB den Rechtsstaat verstehen: Schutzsuchende Personen sollten weiterhin ihr Gesuch einreichen können, registriert und grund- und menschenrechtskonform untergebracht werden, bis die Asylverfahren wieder aufgenommen werden.
Die verlängerten Ausreisefristen für abgewiesene asylsuchende Personen sind zu begrüssen – aufhorchen lässt aber die Argumentation des Bundesrats: Mit der Verlängerung der Ausreisefristen «verhindern wir, dass wegen der Pandemie vorläufige Aufnahmen ausgesprochen werden müssen», sagte Karin Keller-Sutter anlässlich der erwähnten Medienkonferenz. Diese Argumentation des Bundesrats ist der Schweiz, die sich gerne auf ihre humanitäre Tradition beruft, unwürdig.
Keine Transfers zwischen Unterkünften
Gesamtschweizerisch beträgt die Belegung der Bundesasylzentren laut Bundesrätin Keller-Sutter um die 50%. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) betonte über die vergangenen Wochen regelmässig, dass die Hygiene- und Gesundheitsempfehlungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) in den Bundesasylzentren bereits umgesetzt seien. In den Unterkünften ist es aber unmöglich, die Regel des Zweimeter-Abstandes in den Schlafräumen einzuhalten, auch wenn diese nur zur Hälfte belegt sind. Die SBAA und die Plattform ZiAB begrüssen die angekündigten Initiativen, noch mehr Unterbringungsplätze bereitzustellen. Die Unterkünfte sollten so schnell wie möglich in Betrieb genommen werden. Es braucht mehr als eine Verdoppelung der Bettenkapazität, um die asylsuchenden Personen nach Empfehlungen des BAG schützen zu können.
Um der Verbreitung des Virus möglichst Einhalt zu gebieten, wäre es zentral, auf Transfers zwischen den verschiedenen Unterkünften (ausser im Falle einer nachgewiesenen Ansteckung) gänzlich zu verzichten; also auch auf Transfers zwischen Bundesasylzentren und kantonalen Kollektivunterkünften. Das vorgebrachte Argument des Bundesrates, dass die Kapazitätsgrenze auf Bundesebene innert kürzester Zeit erreicht wäre, wenn das Asylverfahren sistiert und somit keine Überweisungen in die Kantone stattfinden würden, ist bei der aktuellen sehr niedrigen Anzahl an Gesuchen fadenscheinig.
Die SBAA und die Plattform ZiAB sind enttäuscht, dass sich der Bundesrat gegen den umfassenden rechtlichen und gesundheitlichen Schutz von schutzsuchenden Personen ausgesprochen hat.