Gewalt, Erniedrigungen, illegale Rückschiebungen: Seit Längerem kritisieren internationale Organisationen wie Amnesty International und Are you Syrious die prekäre Situation an der kroatisch-bosnischen Grenze. Sie berichten, dass kroatische PolizistInnen schutzsuchende Personen gewaltsam und systematisch an der Einreise in den EU-Raum hindern und sie illegal über die grüne Grenze nach Bosnien-Herzegowina zurückschicken, ohne ihnen das Recht auf Asyl zu gewähren. Der SRF-Rundschau ist es im Mai 2019 gelungen, sogenannte Push-backs zu dokumentieren.
Mit dieser Praxis verstösst Kroatien klar gegen internationales und europäisches Recht. Verletzt werden das Non-Refoulement-Prinzip (Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention) sowie das Verbot der Kollektivausweisung (Art. 4 des 4. Zusatzprotokolls zur EMRK) im Zusammenhang mit dem Recht auf eine wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK). Kroatien rechtfertigt sein Vorgehen damit, dass es die europäische Aussengrenze lediglich vor illegaler Migration schütze. Laut der damaligen kroatischen Präsidentin Grabar- Kitarović sei dabei ein bisschen Gewalt nötig (vgl. SRF, Tagesschau vom 9. Juli 2019). Die meisten europäischen Staaten nehmen das völkerrechtswidrige Vorgehen Kroatiens stillschweigend hin. Auch die Schweiz schickt Schutzbedürftige, welche bereits in Kroatien registriert wurden, im Rahmen des Dublin-Verfahrens dorthin zurück.
Die Verantwortung der Schweiz
Nach Ausstrahlung des Beitrags in der SRF-Rundschau fragte Nationalrätin Samira Marti im Juni 2019 in einer Interpellation den Bundesrat, wie die Schweiz darauf reagiere. Dieser erachtet es gegenwärtig weiterhin als zumutbar, Personen im Rahmen des Dublin-Verfahrens nach Kroatien zu überstellen. Gemäss dem Staatssekretariat für Migration (SEM) weise das kroatische System keine systemischen Mängel auf. Der Zugang zum Asylverfahren sei gewährleistet.
Kurze Zeit später kritisierte das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) das SEM diesbezüglich. In seinem Referenzurteil vom 12. Juli 2019 (E‑3078/2019) entzog sich das BVGer zwar der Frage, ob systemische Mängel im kroatischen Asylverfahren vorliegen, rügte jedoch das SEM, dass es sich nicht ausreichend mit der aktuellen Lage in Kroatien auseinandergesetzt habe. Ausserdem hätte das SEM vertieft prüfen müssen, ob ein Selbsteintritt der Schweiz in diesem Fall angezeigt gewesen wäre, d.h. ob die Schweiz sich für zuständig erklärt, das Asylgesuch zu prüfen (Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung). Auch im Urteil vom 15. August 2019 (F‑4030/2019) hiess das BVGer die Beschwerde gegen die drohende Rückführung nach Kroatien gut. Die SBAA begrüsst diese Urteile, denn sie fordert schon länger, dass die Schweiz vermehrt von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch macht.
Mit zwei Urteilen im Dezember 2019 und Januar 2020 präzisierte das BVGer seine Rechtsprechung betreffend die Rückführungen nach Kroatien. Darin stellt das BVGer klar, dass sich das Referenzurteil lediglich auf Schutzsuchende bezieht, die auf der illegalen Durchreise durch Kroatien sind oder denen der Zugang zu einer Asylgesuchgestellung verweigert wurde. Personen, die in Kroatien bereits ein Asylgesuch gestellt hatten, können laut dem BVGer jedoch weiterhin nach Kroatien überstellt werden, da ihnen bereits der Zugang zu einem Asylverfahren gewährt wurde. Dies ist aus Sicht der SBAA problematisch, da zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar ist, ob auch Personen, die bereits einen Asylantrag gestellt haben, von den illegalen Rückführungen nach Bosnien-Herzegowina betroffen sind. Schliesslich wurden im November 2019 zwei nigerianische Studenten mit einem gültigen Visum aus Kroatien nach Bosnien-Herzegowina weggewiesen (vgl. Bericht von Border Violence Monitoring Networks (Dez. 2019)).
Die SBAA fordert deshalb, dass das SEM die individuellen Vorbringen der gesuchstellenden Personen sorgfältig und umfassend abklärt. Weiter soll die Schweiz Verantwortung übernehmen und vermehrt von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen. Das Recht auf Asyl und die Verfahrensgarantien der asylsuchenden Personen dürfen nicht leichthin untergraben werden. Klarheit in dieser Frage könnte das Urteil im Fall M.H. u.a. gegen Kroatien bringen, das zurzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hängig ist.
Situation an weiteren aussereuropäischen Grenzen
Nicht nur die bosnisch-kroatische Grenze gibt der SBAA Anlass zur Besorgnis. Auch in weiteren europäischen Aussengrenzstaaten kommt es zu illegalen Push-backs, beispielsweise in Griechenland, Ungarn und Slowenien (vgl. Bericht von Border Violence Monitoring Networks (Dez. 2019) und Bericht von Amnesty International (Juni 2018)). Besorgt hat die SBAA auch das neue Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur spanisch-marrokanischen Grenze zur Kenntnis genommen. Die Grosse Kammer des EGMR hat im Fall N.D. und N.T. gegen Spanien vom 13. Februar 2020 das Urteil seiner Kleinen Kammer total revidiert. Es ging um zwei Personen, die gemeinsam mit weiteren Personen versuchten, über einen Zaun in die spanische Exklave Melilla zu gelangen und nach Marokko zurückgebracht wurden. Die Grosse Kammer des EGMR entschied nun, dass die Push-backs nach Marokko menschenrechtskonform gewesen seien, da die Schutzsuchenden illegale Einreisewege genutzt hätten. Laut dem EGMR gab es legale Möglichkeiten, um ein Asylgesuch einzureichen. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) kritisiert, dass in diesem Urteil die Tatsache unberücksichtigt bleibt, dass es für Personen in den betroffenen Ländern de facto keine Möglichkeit gibt, auf einer Botschaft Asyl zu beantragen. Ausserdem würde insbesondere dunkelhäutigen Personen der Zugang zu der Asylbehörde an der Grenze von Ceuta oder Melilla von den marokkanischen Passkontrollen verweigert (Artikel in der NZZ vom 13. Februar 2020).
Die SBAA erachtet das Urteil als höchst problematisch, da die konkreten Umstände nicht umfassend berücksichtigt wurden. Das Urteil bedeutet nicht, dass in allen Fällen Push-backs zulässig sind, es schafft aber einen gefährlichen Präzedenzfall.