Moria brennt – höchs­te Zeit, dass die Schweiz handelt

Moria ist nie­der­ge­brannt und Tau­sen­de wur­den obdach­los. Die Auf­nah­me von 20 Min­der­jäh­ri­gen durch die Schweiz ist völ­lig ungenügend. 

Es ist mitt­ler­wei­le wohl allen bekannt, dass in der Nacht vom 8. auf den 9. Sep­tem­ber 2020 auf Les­bos im Flücht­lings­camp Moria ein ver­hee­ren­der Brand aus­brach. Dabei wur­de das Camp nahe­zu voll­stän­dig zer­stört und über 12‘000 – ohne­hin schon hilfs­be­dürf­ti­ge – Men­schen wur­den obdach­los. Grie­chen­land rief dar­auf­hin einen vier­mo­na­ti­gen Not­stand für ganz Les­bos aus. Eine sol­che Kata­stro­phe kam aber nicht ganz uner­war­tet; es wird sogar von einer „Kata­stro­phe mit Ansa­ge“ gespro­chen. Denn das Lager war ursprüng­lich für knapp 3‘000 Per­so­nen aus­ge­legt und nicht für das Vier­fa­che. Dies führ­te zu unmensch­li­chen Bedin­gun­gen und gros­sem Leid im Camp (s. Arti­kel der Schwei­ze­ri­schen Flücht­lings­hil­fe vom 9.9.2020). Vor dem Brand war zudem der ers­te posi­ti­ve Coro­na-Fall gemel­det wor­den, wor­auf das Camp von der Aus­sen­welt total abge­rie­gelt wur­de (s. Blog­bei­trag der Aege­an Boat Report).

Nach dem Brand kam es zu meh­re­ren Demons­tra­tio­nen und Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit den grie­chi­schen Behör­den, bei denen u.a. auch Trä­nen­gas ver­wen­det wur­de. Seit dem ver­gan­ge­nen Sonn­tag haben nun ca. 10‘000 Men­schen nach einem Coro­na-Test das neu erbau­te Lager in Kara Tepe bezo­gen. Die rest­li­chen Per­so­nen wei­gern sich jedoch, das von Sta­chel­draht umzäun­te Lager zu bezie­hen, weil sie Angst haben, es nicht mehr ver­las­sen zu dür­fen. Die­sen Per­so­nen wird nun auf Flug­blät­tern mit­ge­teilt, dass ihre Asyl­ver­fah­ren nur bear­bei­tet wer­den, wenn sie ins Camp zie­hen (s. Arti­kel der WOZ vom 17.9.2020 und 24.9.2020).

Orga­ni­sa­tio­nen, Schwei­zer Städ­te und das Par­la­ment for­dern die tota­le Evakuierung

Die EU-Rats­prä­si­dent­schaft orga­ni­sier­te nach dem Feu­er die Eva­ku­ie­rung der ver­blei­ben­den 400 unbe­glei­te­ten Min­der­jäh­ri­gen (UMA’s) auf Les­bos. Ange­la Mer­kel will 150 davon auf­neh­men und rund 1‘500 wei­te­re Men­schen eva­ku­ie­ren. Der Bund hat sich hin­ge­gen dazu ent­schie­den, ledig­lich 20 der ins­ge­samt 400 UMA‘s in die Schweiz zu holen und setzt haupt­säch­lich auf huma­ni­tä­re Hil­fe vor Ort (s. Ant­wort des Bun­des­rats auf eine Fra­ge von Natio­nal­rä­tin Sibel Ars­lan). Es ist unhalt­bar und mit der sog. „huma­ni­tä­ren Tra­di­ti­on“ der Schweiz nicht zu ver­ein­ba­ren, dass die Schweiz nur 20 UMA‘s auf­neh­men will. Es müs­sen drin­gend wei­te­re Per­so­nen in die Schweiz geholt werden.

Neben wei­te­ren Orga­ni­sa­tio­nen ist auch die SBAA der Ansicht, dass die Schweiz als Dub­lin-Mit­glied­staat eine Mit­ver­ant­wor­tung an die­ser Kata­stro­phe trägt und sich daher nicht aus ihrer Ver­ant­wor­tung zie­hen darf. Der Wil­le von Städ­ten und dem Par­la­ment ist da: Dies zeigt sich vor allem unter Anbe­tracht der For­de­rung meh­re­rer Schwei­zer Städ­te, dass sie bereit sind, Flücht­lin­ge auf­zu­neh­men sowie der ange­nom­me­nen Moti­on 20.3143, wel­che den Bun­des­rat nun damit beauf­tragt, Geflüch­te­te aus Grie­chen­land auf­zu­neh­men. Obwohl Bun­des­rä­tin Karin Kel­ler-Sut­ter in einem Inter­view mit dem SRF vom 10.9.2020 sta­tu­iert hat, dass dies recht­lich nicht mög­lich sei, gibt es im Schwei­zer Recht sehr wohl die Mög­lich­keit dazu. Die Schweiz kann näm­lich gestützt auf gleich zwei Geset­zes­ar­ti­kel Geflüch­te­te aus huma­ni­tä­ren Grün­den auf­neh­men. Zum einen kann sie gestützt auf Art. 4 Abs. 2 der Ver­ord­nung über die Ein­rei­se und die Visum­ser­tei­lung bei unmit­tel­ba­rer, ernst­haf­ter und kon­kre­ter Gefahr für Leib und Leben ein huma­ni­tä­res Visum aus­stel­len. Die SBAA hat in ihrem Fach­be­richt vom Jahr 2019 detail­liert auf die Vor­aus­set­zun­gen und die Umset­zung des huma­ni­tä­ren Visums Stel­lung genom­men und for­der­te schon damals eine weni­ger restrik­ti­ve Hand­ha­bung. Zum ande­ren kann die Schweiz auch gestützt auf Art. 17 Dub­lin-III-Ver­ord­nung einen Selbst­ein­tritt ver­an­las­sen und die Asyl­ver­fah­ren eines ande­ren Lan­des in der Schweiz zu Ende brin­gen. Zudem kann auch der Bun­des­rat sel­ber die Auf­nah­me von Geflüch­te­ten beschlies­sen. Die SBAA for­dert daher den Bun­des­rat dazu auf, rasch und unbü­ro­kra­tisch zu han­deln und auf die For­de­rung der Städ­te, der Zivil­ge­sell­schaft und nun auch des Par­la­ments ein­zu­ge­hen. Dar­über hin­aus soll sich die Schweiz aktiv an der Ver­bes­se­rung des Dub­lin-Sys­tems betei­li­gen und ihre Ver­ant­wor­tung wahr­neh­men, um die unmensch­li­chen Situa­tio­nen an den EU-Aus­sen­gren­zen zu mil­dern und sol­che „Kata­stro­phen mit Ansa­ge“ zukünf­tig zu verhindern.