NGO-Bericht zur Umset­zung der UN-Kinderrechtskonvention

Im heu­te publi­zier­ten NGO-Bericht äus­sert das Netz­werk Kin­der­rech­te Schweiz Hand­lungs­be­darf bei der Umset­zung der Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on in der Schweiz. 

Als Ver­trags­staat der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on (KRK) ist die Schweiz ver­pflich­tet, dem UN-Kin­der­rechts­aus­schuss regel­mäs­sig über die Umset­zung der KRK in der Schweiz Bericht zu erstat­ten. Im Dezem­ber 2020 hat der Bun­des­rat den aktu­el­len Staa­ten­be­richt der Schweiz zur Umset­zung der KRK verabschiedet.

Das Netz­werk Kin­der­rech­te Schweiz hat einen ergän­zen­den, soge­nann­ten NGO-Bericht ver­fasst, in wel­chem die Sicht­wei­se der Zivil­ge­sell­schaft dar­ge­legt wird. Die Schwei­ze­ri­sche Beob­ach­tungs­stel­le für Asyl- und Aus­län­der­recht (SBAA) ist Mit­glied die­ses Netz­werks und teilt die Beden­ken, dass die Ein­schät­zung des Bun­des­ra­tes zur Situa­ti­on der Kin­der­rech­te in der Schweiz zu opti­mis­tisch aus­ge­fal­len ist.

Auch im Asyl- und Migra­ti­ons­be­reich zeigt der NGO-Bericht kla­ren Hand­lungs­be­darf. So kri­ti­siert das Netz­werk Kin­der­rech­te unter ande­rem die Metho­den der Alters­schät­zung von unbe­glei­te­ten min­der­jäh­ri­gen Asyl­su­chen­den (UMA), den erschwer­ten Zugang zu kind­ge­rech­ten und nie­der­schwel­li­gen psy­cho­lo­gi­schen Ange­bo­ten in Bun­des- und kan­to­na­len Asyl­zen­tren, sowie die Dop­pel­rol­le von Ver­trau­ens­per­son und Rechts­ver­tre­tung im Asyl­ver­fah­ren. Beson­ders wird auch kri­ti­siert, dass dem Inter­es­se des Kin­des und dem Recht auf Anhö­rung wäh­rend des Asyl­ver­fah­rens zu wenig Beach­tung geschenkt wird und der Zugang zu Bil­dung für Jugend­li­che aus dem Asyl- und Migra­ti­ons­be­reich erschwert ist.

Kin­des­wohl

Laut Staa­ten­be­richt des Bun­des­ra­tes wer­den Gesu­che von UMA, wie in den Asyl­be­stim­mun­gen vor­ge­se­hen, prio­ri­tär behan­delt (Art. 17 Abs. 2bis AsylG) und das Kin­des­wohl stets berück­sich­tigt (Staa­ten­be­richt, S. 32). Das Netz­werk Kin­der­rech­te kommt jedoch zum Schluss, dass das in Art. 3 Abs. 1 der KRK ver­an­ker­te Kin­des­wohl im Asyl­ver­fah­ren sowie in Ent­schei­den über Auf­ent­halts­rech­te und Weg­wei­sun­gen grund­sätz­lich zu wenig berück­sich­tigt wird. Es kri­ti­siert, dass Kin­der oft nicht als selb­stän­di­ge Rechts­sub­jek­te ange­se­hen wer­den, es kei­ne kin­des­spe­zi­fi­schen Ver­fah­rens­rech­te gibt und ein for­mel­les Ver­fah­ren für die sys­te­ma­ti­sche Prü­fung des über­ge­ord­ne­ten Kin­des­in­ter­es­ses fehlt (NGO-Bericht, S. 30). Die­se Ein­schät­zun­gen stim­men mit den Beob­ach­tun­gen und For­de­run­gen der SBAA über­ein. Meh­re­re von der SBAA doku­men­tier­te Fäl­le zei­gen, dass erheb­li­che Män­gel in der Berück­sich­ti­gung des Kin­des­wohls im Asyl­ver­fah­ren bestehen (sie­he z.B. die doku­men­tier­ten Fäl­le Nr. 382, 375, 370). Im Fach­be­richt «Ver­nach­läs­sig­tes Kin­des­wohl» for­dert auch die SBAA, dass das Kin­des­wohl im Asyl­ver­fah­ren sys­te­ma­tisch ermit­telt und berück­sich­tigt wird.

Recht auf Anhörung

Art. 12 der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on sichert jedem Kind ein Recht auf Anhö­rung zu. Gemäss Staa­ten­be­richt des Bun­des­ra­tes geben «prak­tisch alle Kan­to­ne» an, dass «das Recht auf Anhö­rung in ihrem Gebiet gene­rell gewähr­leis­tet ist» (Staa­ten­be­richt, S. 10). Die SBAA kri­ti­siert die­se zurück­hal­ten­de Aus­sa­ge, die kei­nen Auf­schluss dar­über gibt, ob und wie das Recht auf Anhö­rung tat­säch­lich gewähr­leis­tet wird. In asyl- und aus­län­der­recht­li­chen Ver­fah­ren wird gemäss Bun­des­rat die Situa­ti­on von urteils­fä­hi­gen Kin­dern zudem grund­sätz­lich indi­vi­du­ell beur­teilt (Staa­ten­be­richt, S. 11).

Das Netz­werk Kin­der­rech­te Schweiz ist aller­dings der Ansicht, dass Kin­der in Ver­fah­ren des Asyl- und Aus­län­der­rechts nur unge­nü­gend mit­ein­be­zo­gen wer­den (NGO-Bericht S. 30). Auch die Schwei­ze­ri­sche Flücht­lings­hil­fe (SFH) kri­ti­siert in einer Medi­en­mit­tei­lung vom 29.03.2021, dass Kin­der unter 12 Jah­ren in asyl­recht­li­chen Ver­fah­ren meist nicht ange­hört wer­den. Gemäss einem Bei­trag im Jah­res­be­richt 2019 des Schwei­ze­ri­schen Kom­pe­tenz­zen­trums für Men­schen­rech­te (SKMR) sind es zudem weni­ger als die Hälf­te aller Schwei­zer Kan­to­ne, die Kin­der im Weg­wei­sungs­ver­fah­ren eines Eltern­teils anhören.

Auch die SBAA for­dert in ihrem Fach­be­richt «Ver­nach­läs­sig­tes Kin­des­wohl», dass jedes Kind die Mög­lich­keit haben soll, sich im Rah­men der Anhö­rung zu äus­sern, wenn es dies wünscht. Sie begrüsst daher die For­de­rung des NGO-Berichts, das Par­ti­zi­pa­ti­ons­recht gesetz­ge­be­risch zu verankern.

Zugang zu Bildung

Gemäss Staa­ten­be­richt ist sowohl der Zugang zur Bil­dung als auch die anschlies­sen­de beruf­li­che Inte­gra­ti­on für Jugend­li­che aus dem Asyl­be­reich gewähr­leis­tet. Im Hin­blick auf Kin­der ohne gere­gel­ten Auf­ent­halts­sta­tus erwähnt der Bun­des­rat ledig­lich die Sicher­stel­lung des obli­ga­to­ri­schen Schul­un­ter­richts und ver­weist ansons­ten auf die Kom­pe­tenz der Kan­to­ne (Staa­ten­be­richt, S. 32–33).

Das Netz­werk Kin­der­rech­te Schweiz hält im NGO-Bericht fest, dass Kin­der und Jugend­li­che mit Migra­ti­ons- und Flucht­hin­ter­grund gera­de beim Zugang zu Bil­dung star­ken Benach­tei­li­gun­gen aus­ge­setzt sind. Es emp­fiehlt daher, geflüch­te­te Kin­der schnellst­mög­lich und umfas­send in obli­ga­to­ri­sche sowie nach­ob­li­ga­to­ri­sche Regel­struk­tu­ren zu inte­grie­ren (NGO-Bericht, S. 27).

Auch die SBAA sieht Hand­lungs­be­darf beim Zugang zu Bil­dung für Kin­der und ins­be­son­de­re auch für Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne, die nicht mehr im schul­pflich­ti­gen Alter sind (sie­he z.B. doku­men­tier­ter Fall Nr. 362). Im Pro­jekt «Sta­tus­un­ab­hän­gi­ge Bil­dung für alle» befasst sich die SBAA zur­zeit mit die­sem The­ma und doku­men­tiert Ein­zel­fäl­le betrof­fe­ner Per­so­nen. Der Fach­be­richt mit Ein­schät­zun­gen und For­de­run­gen wird im August 2021 erscheinen.

Als Mit­glied des Netz­werks Kin­der­rech­te for­dert die SBAA, dass die Ein­hal­tung der Kin­der­rech­te in der Schweiz wei­ter beob­ach­tet und kri­tisch hin­ter­fragt wird. Sie for­dert, dass das Kin­des­wohl in asyl- und aus­län­der­recht­li­chen Ver­fah­ren bes­ser gewähr­leis­tet, ein Recht auf Anhö­rung für alle Kan­to­ne gesetz­ge­be­risch ver­an­kert und der Zugang zu Bil­dung für Jugend­li­che und jun­ge Erwach­se­ne ver­bes­sert wird.

 

Staa­ten­be­richt der Schweiz zur Umset­zung der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on (2020) als PDF

NGO-Bericht des Netz­werk Kin­der­rech­te Schweiz (2021) als PDF

Medi­en­mit­tei­lung des Netz­werk Kin­der­rech­te Schweiz (08.06.2021) als PDF

Kin­der- und Jugend­be­richt (2021) als PDF