Sozi­al­hil­fe-Stopp und Züri-City Card

Inklu­si­on und Exklu­si­on: In Zürich pas­siert der­zeit eini­ges in Bezug auf The­men rund um Migra­ti­on, Sozia­le Sicher­heit und Aufenthaltsstatus.

Knapp zwei Wochen bevor der Kan­ton Zürich die Sozi­al­hil­fe für vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen streicht (was auch in der Stadt Zürich über­ra­schen­der­wei­se ange­nom­men wur­de) beginnt die Akti­on „Züri City Card“. Das eine Ereig­nis scheint die sozia­le Soli­da­ri­tät zwi­schen Men­schen mit unter­schied­li­chem Auf­ent­halts­sta­tus wei­ter zu dif­fe­ren­zie­ren. Das ande­re Ereig­nis will gera­de die­se unter­schied­li­chen Sta­tus, wel­che ein unter­schied­li­cher Zugang zu unzäh­li­gen gesell­schaft­li­chen und staat­li­chen Insti­tu­tio­nen pro­du­ziert, ver­hin­dern. Es ist wich­tig her­aus­zu­strei­chen, was die Kon­se­quen­zen die­ser zwei Ereig­nis­se sein kön­nen. Bei der Strei­chung der Sozi­al­hil­fe für vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen kön­nen die Fol­gen rela­tiv gut auf­ge­zeigt wer­den. Es exis­tie­ren zahl­rei­che Stu­di­en, wel­che die Fol­gen einer Abhän­gig­keit von der Not­hil­fe, seit ihrer Ein­füh­rung, auf­zei­gen.1Für die Züri City Card hin­ge­gen muss man spe­ku­lie­ren und gera­de in Anbe­tracht des ande­ren Ereig­nis­ses scheint ein hoff­nungs­vol­les spe­ku­lie­ren ange­bracht zu sein.

Die Strei­chung der Sozi­al­hil­fe für vor­läu­fig Auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen hat meh­re­re Dimen­sio­nen. So ist sie, wie Réda El Arbi schreibt, ein Zei­chen dafür, „dass Men­schen mit dem Sta­tus F ent­we­der kein men­schen­wür­di­ges Leben füh­ren sol­len, oder aber kei­ne rich­ti­gen Per­so­nen sind“. Die­se Ansicht stützt sich dar­auf, dass die Sozi­al­hil­fe das Exis­tenz­mi­ni­mum garan­tiert, um ein men­schen­wür­di­ges Leben zu füh­ren. Dar­un­ter wird auch eine sozia­le und wirt­schaft­li­che Teil­ha­be am öffent­li­chen Leben und die Inte­gra­ti­ons­hil­fe in jene ver­stan­den.2 Die Not­hil­fe hin­ge­gen ist auf ein Mini­mum redu­ziert und ent­behrt die Hil­fe zur ‘sozia­len Ein­glie­de­rung’ (gestützt auf Art. 12 BV). Unter sol­chen Bedin­gun­gen scheint das Argu­ment, dass vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen durch den Weg­fall von der Sozi­al­hil­fe eher einer Arbeit nach­ge­hen wer­den, als rea­li­täts­fern. Es wird auch nicht mit­ein­be­zo­gen, dass Per­so­nen mit Sta­tus F einen sehr ein­ge­schränk­ten Zugang zum Arbeits­markt haben.3

Dies bringt uns zur Ter­mi­no­lo­gie ‘vor­läu­fig‘. Fakt ist, dass ’vor­läu­fig‘ in Anbe­tracht der Dau­er eines Auf­ent­hal­tes nicht gerecht­fer­tigt ist. Per­so­nen mit Sta­tus F blei­ben meist über Jah­re, wenn nicht Jahr­zehn­te oder immer in der Schweiz. Die­se Erkennt­nis ist mitt­ler­wei­le gröss­ten­teils akzep­tiert und hat zu Dis­kus­sio­nen und Debat­ten rund um das The­ma des Sta­tus F und eine mög­li­che Ände­rung des Sta­tus geführt («Schutz­be­dürf­tig» – Auch kei­ne Lösung). Die Strei­chung der Sozi­al­hil­fe und somit der Hil­fe zur ‘sozia­len Ein­glie­de­rung‘, ist daher eher ein Instru­ment der Exklu­si­on, als ein Argu­ment zur inten­si­ve­ren Arbeits­su­che. Der Effekt ist eine Pre­ka­ri­sie­rung einer bereits stark benach­tei­lig­ten Bevölkerungsgruppe.

Selbst nach der Logik der Initia­tiv-Befür­wor­ter geht die Rech­nung nicht auf, da sich gezeigt hat, dass eine Abhän­gig­keit von der Not­hil­fe viel län­ger­fris­ti­ger ist, als eine sol­che von der Sozi­al­hil­fe (vgl. Berich­te der Schwei­ze­ri­schen Flücht­lings­hil­fe). Zudem sind die Berech­nun­gen der Aus­ga­ben für die Not­hil­fe schwam­mig for­mu­liert und neh­men nicht alle Kos­ten auf (z.B. zusätz­li­cher admi­nis­tra­ti­ver Auf­wand, Unter­halt der Not­un­ter­künf­te). Also auch unter Anbe­tracht der ‚Wirt­schaft­lich­keit‘ kann man nicht von einem posi­ti­ven Effekt der Ände­rung spre­chen. Was bleibt ist ein mul­mi­ges Gefühl, dass es schluss­end­lich also doch nur um die Hier­ar­chi­sie­rung von Men­schen anhand ihres Auf­ent­halts­sta­tus geht und nicht um die berech­ne­ten 10 Mil­lio­nen Fran­ken. Es geht um die Pro­ble­ma­ti­sche Ansicht von was ‘Wür­dig­keit‘ ist und der poli­tisch geschür­ten Angst vor Miss­bräu­chen, wel­che in der Ansicht mün­det, dass vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen in der Sozi­al­hil­fe selbst­ver­schul­det sind.

In Anbe­tracht die­ser uner­freu­li­chen Erkennt­nis­se ist es also umso erfreu­li­cher zu sehen, dass es Pro­jek­te gibt, wenn auch ter­ri­to­ri­al beschränk­te, wel­che die Pro­ble­ma­tik von Sta­tus von Per­so­nen und der damit ein­her­ge­hen­den Hier­ar­chi­sie­rung the­ma­ti­sie­ren und ange­hen. Ähn­li­che Pro­jek­te wie die Züri City Card exis­tie­ren bereits und ver­zeich­nen einen posi­ti­ven Ein­fluss auf die Teil­nah­me von Migran­ten am gesell­schaft­li­chen Leben. Die­se län­ger eta­blier­ten ‘Sanc­tua­ry Cities’befin­den sich über­wie­gend in Nord­ame­ri­ka. Es gibt aber auch ver­mehrt in grös­se­ren Euro­päi­schen Städ­ten ein Inter­es­se für ein sol­ches Umden­ken im Umgang mit irre­gu­lä­ren Migran­ten. So exis­tiert die ‘Opé­ra­ti­on Papy­rus’ – initi­iert durch den Kan­ton Genf zur Regu­la­ri­sie­rung von irre­gu­lä­ren Migran­ten. Zudem gibt es ver­schie­de­ne Städ­te in Deutsch­land, wel­che eine sol­che ‘urban citi­zen­ship’ in Angriff neh­men und auch Bern ist in die­se Rich­tung am Den­ken. Es scheint also eine gross­flä­chi­ge­re Skep­sis gegen­über der momen­ta­nen Objek­ti­vie­rung und Dämo­ni­sie­rung von Migran­ten zu geben.

Eine Züri City Card wür­de allen Per­so­nen, wel­che in Zürich leben den glei­chen ‚Sta­tus‘ aus­hän­di­gen, unab­hän­gig von Her­kunft und lega­lem (Nicht-)Status. Dies wür­de den Zugang zu öffent­li­chen Insti­tu­tio­nen für Per­so­nen, wel­che über kei­nen lega­len oder über einen unter­ge­ord­ne­ten Sta­tus ver­fü­gen, erleich­tern. Aller­dings gibt es dabei das Pro­blem der Bereit­stel­lung von und den Zugang zu öffent­li­chen Gütern und Dienst­leis­tun­gen. Im Fal­le der Sozi­al­hil­fe merkt man schnell, dass die­se kan­to­nal gere­gelt und an natio­na­le Kri­te­ri­en gebun­den ist. Wel­che Insti­tu­ti­on – sei sie öffent­li­cher oder pri­va­ter Natur – die Kar­te akzep­tiert ist daher zen­tral und frag­lich. Gera­de wohl­fahrts­staat­li­che Instru­men­te, wel­che immer stär­ker an die Natio­na­li­tät gebun­den sind, wer­den durch die Züri City Card kaum oder nur schwer zugäng­li­cher. Wie bereits erwähnt, gibt es aber zahl­rei­che Bei­spie­le aus den USA, die einen bes­se­ren Zugang und eine Teil­nah­me am Öffent­li­chen Leben erleich­tern oder Poli­zei­kon­trol­len ver­min­dern. Aller­dings zeigt gera­de das Bei­spiel USA, dass sol­che Pro­jek­te nicht iso­liert vom poli­ti­schen gesche­hen sind. So bringt eine restrik­ti­ve­re Migra­ti­ons­po­li­tik die Errun­gen­schaf­ten der Sanc­tua­ry Cities zur­zeit in Gefahr.

Trotz all die­ser Schwie­rig­keit bringt die Züri City Card eine neue Sym­bo­lik mit sich. Die­se Sym­bo­lik kann der Züri City Card zu einem qua­si-lega­len Auf­ent­halts­sta­tus ver­hel­fen. Je mehr poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Unter­stüt­zung und Ver­brei­tung sie genies­sen wird, des­to eher ent­wi­ckeln sich mate­ri­el­le Kon­se­quen­zen dar­aus. Es geht nicht dar­um die Züri City Card schön zu reden oder sie als Lösung anzu­prei­sen. Viel­mehr ver­hilft uns das Pro­jekt eine ande­re Art und Wei­se der Kate­go­ri­sie­rung von Per­so­nen vor­zu­stel­len, wel­che weni­ger auf Her­kunft als viel­mehr auf Auf­ent­halt aus­ge­rich­tet ist. Eine sol­che Ent­wick­lung wäre im Inter­es­se einer Migra­ti­ons­po­li­tik, die mobi­le Men­schen aus sog. Dritt­staa­ten nicht a prio­ri als Gefahr und Betrü­ger beur­tei­len wür­de. Es sind sol­che Visio­nen, wel­che brei­ter geteilt und gedacht wer­den müss­ten. Nicht Vor­stös­se und Initia­ti­ven, wel­che Men­schen zu Men­schen zwei­ter Klas­se machen, wie dies die Strei­chung der Sozi­al­hil­fe für vor­läu­fig auf­ge­nom­me­ne Per­so­nen tut.

1 – Zum Bei­spiel : San­chez-Mazas, Mar­ga­ri­ta et al. (2011): La con­s­truc­tion de l’invisibilité. Sup­pres­si­on de l’aide socia­le dans le domaine de l’asile. Genè­ve : ies éditions.

2 – Der Kan­ton Zürich hält sich dabei an die SKOS-Richt­li­ni­en

3 – Bolz­man, Clau­dio (2016): Pré­ca­ri­té juri­di­que et pré­ca­ri­té socio-éco­no­mi­que: le cas de per­son­nes admi­ses pro­vi­so­i­re­ment dans le cad­re de l’asile. In : pen­sée plu­ri­el­le 2(42), S. 55–66.